Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerhörigkeit. digitales Hörgerät. Zuständigkeitsabgrenzung. Rentenversicherungsträger. Krankenversicherungsträger. Teilhabe am Arbeitsleben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Festbeträge für Hörhilfen sind unwirksam, weil sie im allgemeinen keine ausreichende Versorgung ermöglichen.

2. Im Verhältnis zwischen Rentenversicherer und Krankenkasse kommt eine (eigentliche) Zuständigkeit des Rentenversicherers für die Versorgung mit Hörhilfen nur ganz ausnahmsweise in Betracht, weil insbesondere die Verbesserung des Sprachverstehens in den Bereich des von der Krankenkasse abzudeckenden Basisausgleichs fällt.

3. Unter den Voraussetzungen des § 14 Abs 2 SGB 9 wird der Rentenversicherer gegenüber dem Versicherten gleichwohl endgültig für die Entscheidung und Leistung auch nach den Vorschriften des Krankenversicherungsrechts zuständig.

 

Orientierungssatz

Die Voraussetzungen für eine Hilfsmittelversorgung als Leistung des Rentenversicherers zur Teilhabe am Arbeitsleben liegen nur im Falle einer besonderen beruflichen Betroffenheit vor. Sie liegen dann nicht vor, soweit sie bereits als Leistung der Krankenversicherung zu erbringen ist. Die Kammer ist der Auffassung, dass die Vorschrift des § 15 Abs 1 S 2 SGB 6, die unmittelbar nur das Verhältnis zwischen gesetzlicher Renten- und Krankenversicherung für Zahnersatzleistungen betrifft, Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens ist, wonach für einen Eintritt der Rentenversicherung im Rahmen der Rehabilitation (nunmehr: Leistungen zur Teilhabe) dann kein Raum ist, "wenn bereits die Krankenversicherung dem Grunde nach verpflichtet ist, eine Leistung im Rahmen der Krankenhilfe zum Zwecke der Heilung, Besserung, Linderung oder Verhütung der Verschlimmerung eines regelwidrigen Körperzustands zu gewähren" (vgl BSG vom 28.2.1991 - 4/1 RA 93/88, Entgegen LSG Celle-Bremen vom 8.3.2007 - L 10 R 247/05).

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 04.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.03.2003 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin mit zwei Hörgeräten des Typs Hansaton Startec HA/49 2 c unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zuzahlung zu versorgen.

3. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin werden der Beklagten auferlegt.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit Hörgeräten, die ihr vom Vertrags-Akustiker der gesetzlichen Krankenversicherung nur gegen einen Kaufpreis oberhalb des Festbetrages angeboten worden sind.

Die im Jahre 1964 geborene Klägerin ist als Bankkauffrau abhängig beschäftigt und bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert sowie bei der Beigeladenen gesetzlich krankenversichert. Sie leidet beidseits an einer Schallempfindungsschwerhörigkeit (Innenohrschwerhörigkeit, IOS) mit einem frequenzabhängigen Hörverlust zwischen 20 und 75 dB, zunehmend zu den höheren Frequenzen.

Ihre behandelnde HNO-Ärztin G verordnete ihr am 20.04.2001 als Vertragsärztin auf dem dafür vorgesehenen Vordruck als Erstversorgung Hörhilfen für beide Ohren. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der audiometrischen Befunde, wird auf die Kopie der Verordnung, Bl. 10 der Verwaltungsakten der Beklagten, Bezug genommen.

Die Klägerin stellte sich daraufhin bei dem zugelassenen Hörgeräte-Akustiker, Fa. W (nachfolgend: Akustiker), vor, der im Rahmen einer längeren vergleichenden Anpassung insgesamt vier verschiedene Hörgerät-Typen testete. Im freien Schallfeld bei 65 dB erreichte die Klägerin ohne Hörgerät ein Einsilbenverstehen von 70%.. Mit zwei der getesteten Geräte, einkanalige analoge Geräte, (Siemens Viva 703, baugleich mit Kind H 762, Hilfsmittelverzeichnis Nr. 13.20.02.0054, und Audio Service Karat 260 AGC, Hilfsmittelverzeichnis Nr. 13.20.02.0050), verbesserte sich die Verstehensquote nicht, mit einem weiteren analogen, zweikanaligen Gerät (Unitron Sound FX +, Hilfsmittelverzeichnis Nr. 13.20.03.1039) erzielte die Klägerin 80 %. Im April passte der Akustiker schließlich weitere, nicht mehr zum Festbetrag der gesetzlichen Krankenversicherung erhältliche Geräte an. Mit diesen zweikanaligen, volldigitalen (digitale Signalverarbeitung, digital programmierbar) Geräten (Startec HA/49 2C, Hilfsmittelverzeichnis Nr. 13.20.03.1372; nachfolgend: streitige Geräte), welche vom Akustiker mit Kostenvoranschlag vom 03.04.2002 einschließlich der Ohrpassstücke für einen Gesamtpreis in Höhe von 3072,58 angeboten wurden, konnte schließlich eine Verstehensquote von 90% erreicht werden. Wegen der Anpassergebnisse sämtlicher getesteter Geräte wird auf die Angaben des Akustikers, Bl. 58 der Akten, Bezug genommen.

Die Klägerin wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 23.04.2002 an die Beklagte und bat unter Übersendung des Kostenvoranschlages darum, die Gesamtkosten für die streitigen Geräte als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu übernehmen. Die Geräte verfügten über eine automatische Verstärkungsregelung, die ein maximales Sprachverstehen ermöglichten, zugleich aber bei lauteren Eingangssignalen eine Lautstärkeredukti...

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