Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Unwirksamkeit der Festbeträge für Hörhilfen. inzidente Überprüfung im Streitverfahren zwischen Versichertem und gesetzlicher Krankenkasse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Festbeträge für Hörhilfen sind unwirksam, weil sie im allgemeinen keine ausreichende Versorgung ermöglichen.

2. Die Wirksamkeit der Festbeträge kann im Streitverfahren zwischen Versichertem und gesetzlicher Krankenkasse inzident überprüft werden (Entgegen LSG Berlin-Brandenburg vom 28.1.2003 - L 4 KR 12/01).

 

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 04.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.04.2004 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 410,- Euro zu zahlen.

3. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin werden der Beklagten auferlegt.

4. Gegen das Urteil wird die Berufung zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Kosten, welche die Klägerin über den von der Beklagten gewährten Festbetrag hinaus für die Versorgung mit einem Hörgerät aufgewendet hat.

Die im Jahre 1969 geborene Klägerin leidet an einer mittelgradigen kombinierten (sowohl schallleitungs- als auch schallempfangsbedingten) Schwerhörigkeit links und an einer leichtgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts.

Ihre behandelnde HNO-Ärztin Dipl.-Med. T verordnete ihr am 17.04.2003 als Vertragsärztin auf dem dafür vorgesehenen Vordruck die Versorgung mit einer Hörhilfe für das linke Ohr. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen der audiometrischen Befunde, wird auf das Original der Verordnung, Bl. 115 der Akten, Bezug genommen.

Die Klägerin stellte sich daraufhin bei dem zugelassenen Hörgeräte-Akustiker, Fa. Hörtechnik R (nachfolgend: Akustiker), vor, der im Rahmen einer vergleichenden Anpassung insgesamt fünf verschiedene Hörgerät-Typen testete. Unter Störschallbedingungen (Störgeräusch 60 dB, Nutzschall 65 dB) erreichte die Klägerin ein Einsilberverstehen ohne Hörgerät von 10%. Mit den beiden getesteten Geräten, die der Akustiker zum Festbetrag abzugeben bereit gewesen wäre, erzielte die Klägerin eine Verstehensquote von 20%, welche mit dem besten der getesteten Hörgeräte, einem zweikanaligen, digital programmierbaren Gerät (Typ Widex Bravo B2, Hilfsmittelverzeichnis Nr. 13.20.03.0051) auf 40% verbessert werden konnte. Da dieses Gerät nach den Angaben des Akustikers auf der Rückseite der Verordnung auch im Klang und "beim Toleranztest" für die Klägerin das angenehmste war, entschied sie sich für dieses HdO-Gerät, welches vom Akustiker einschließlich der Schallführungshalterung (Secret Ear) für 1.039,70 Euro angeboten wurde. Zwei weitere, ebenfalls digital programmierbare Geräte, die ebenfalls nicht mehr zum Festbetrag hätten angeboten werden können, erzielten eine Verstehensquote von jeweils 30%. Auf dem Verordnungsvordruck wurden vom Akustiker nur die Ergebnisse der drei digital programmierbaren, nicht jedoch diejenigen der Festbetrags-Geräte eingetragen. Wegen der Anpassergebnisse sämtlicher getesteter Geräte wird insoweit ergänzend auf das Schreiben des Akustikers vom 25.07.2007, Bl. 122 der Akten, Bezug genommen.

Nachdem sich die HNO-Ärztin am 09.10.2003 davon überzeugt hatte, dass diese vom Akustiker vorgeschlagene Versorgung zweckmäßig ist und zu einer ausreichenden Hörverbesserung führt, sowie dies auf dem Vordruck bestätigt hatte, wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 09.10.2003 am 30.10.2003 an die Beklagte und bat um Übernahme der vollen, vom Akustiker veranschlagten Kosten. Bei ihr liege ein Hörkurvenverlauf mit stark eingeengtem Dynamikbereich vor, weshalb sie eine technisch hochwertige Versorgung mit automatischer Regelungsfunktion benötige.

Mit Bescheid vom 04.11.2003 lehnte es die Beklagte ab, Kosten über einen Betrag in Höhe von 529,70 Euro hinaus für die Hörgeräteversorgung zu übernehmen. Nach den geltenden Festbeträgen sei eine wirtschaftliche, zweckmäßige und ausreichende Versorgung nur bis zu dieser Höhe möglich. Sollte die Klägerin eine hochwertige Versorgung zur besseren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben benötigen, sei hierfür laut SGB IX das Sozialamt zuständig.

Hiergegen erhob die Klägerin am 24.11.2003 Widerspruch mit der Begründung, dass in ihrem Fall eine ausreichende Versorgung zum Festbetrag nicht möglich gewesen sei. Ausreichend sei in Bezug auf die Versorgung mit Hörhilfen dasjenige, was im Rahmen der technischen Möglichkeiten dem Hörvermögen eines Normalhörenden am nächsten komme, was aus der überragenden Bedeutung des Hörvermögens folge. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2002 folge, dass zunächst zu prüfen sei, ob die festgesetzten Festbeträge der Höhe nach geeignet seien, eine ausreichende Versorgung zuzahlungsfrei zu erreichen.

Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 23.01.2004 ein, wegen deren näheren Inhalts auf Bl. 17-20 der Verwaltungsakten Bezug genommen wird. Zusammenfassend heißt es hierin, dass im Falle der Kläger...

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