Entscheidungsstichwort (Thema)

gesetzliche Unfallversicherung. gerichtliche Bestellung eines Betreuers. Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. ergänzende Leistungen

 

Orientierungssatz

Die Aufwendungen für einen Betreuer, dessen gerichtliche Bestellung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls notwendig geworden ist, gehören zu den "Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und den ergänzenden Leistungen" iS des § 39 Abs 1 SGB 7. Zur Bestimmung der "sonstigen Leistungen iS des § 39 Abs 1 Nr 2 SGB 7 kann auf den Katalog in § 55 Abs 2 SGB 9 zurückgegriffen werden.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kosten für einen Betreuer - dessen gerichtliche Bestellung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls notwendig geworden ist - zum Leistungsumfang der gesetzlichen Unfallversicherung gehört.

Der ... 1969 geborene Kläger erlitt am 29.12.1997 bei einem Wegeunfall schwere Verletzungen.

Das Amtsgericht F (...) bestellte Rechtsanwalt M. F zum Betreuer des Klägers; der Aufgabenkreis umfasst: Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern; Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Aufgabenkreis; Wohnungsangelegenheiten; Organisation der ambulanten Versorgung; Vertretung in Scheidungsangelegenheiten und sonstigen Rechtsangelegenheiten; Vermögenssorge. Der betreute Kläger bedarf zu Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis Vermögenssorge betreffen und einen Wert von 50 € übersteigen, der Einwilligung des Betreuers (Einwilligungsvorbehalt).

Mit Schreiben vom 15.11.2002 beantragte der Kläger bzw. dessen Betreuer die Kostenübernahme für die Betreuer-Tätigkeit, da die Betreuung als direkte Unfallfolge anzusehen sei.

Mit Bescheid vom 27.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.4.2003 lehnte die Beklagte die Erstattung der Aufwendungen für den Betreuer ab, da unter Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nur Leistungen der klassischen sozialen Rehabilitation zu verstehen seien.

Dagegen ist am 16.5.2003 Klage zum Sozialgericht München erhoben und geltend gemacht worden, es bestehe Raum weitere Tatbestände unter die ergänzenden Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu subsumieren.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 27.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.4.2003 aufzuheben und festzustellen, dass die durch die gerichtliche Bestellung zum Betreuer des Klägers entstehenden Kosten im notwendigen Umfang zum Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung gehören.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Die Beklagte hat zu Unrecht angenommen, die Erstattung von Aufwendungen für einen Betreuer - dessen gerichtliche Bestellung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls notwendig geworden ist - sei nach dem Leistungskatalog der gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschlossen.

Die Aufwendungen für einen Betreuer, dessen gerichtliche Bestellung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls notwendig geworden ist, gehören zu den "Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und den ergänzenden Leistungen" im Sinne des § 39 Abs. 1 SGB VII. Zur Bestimmung der "sonstigen Leistungen" im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII kann auf den Katalog in § 55 Abs. 2 SGB IX zurückgegriffen werden (vgl. Ricke in Kasseler Kommentar, Rdnr. 3 zu § 39 SGB VII). Dass der von der Beklagten genannte Leistungskatalog nicht abschließend ist, wird auch dadurch verdeutlicht, dass zu den Hilfen der Förderung der Verständigung mit der Umwelt auch die Inanspruchnahme der Dolmetscher-Funktion eines anderen gehört (vgl. Knittel, Kommentar zum SGB IX, Rdnr. 12 zu § 55 SGB IX).

Eine andere Auffassung widerspricht dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Denn Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten sind ausdrücklich in § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX genannt. Dann müssen bei teleologischer Auslegung auch die kostengünstigeren Aufwendungen im Rahmen der gerichtlichen Bestellung eines Pflegers erstattungsfähig sein. Zum gleichen Ergebnis kommt man auch, wenn man die Aufwendungen für einen gerichtlich bestellten Pfleger als Minus zu den im Gesetz ausdrücklich genannten Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten ansieht.

Nach alledem war die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BtPrax 2004, 158

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