Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenerstattung gem § 13 Abs 4 S 1 SGB 5. künstliche Befruchtung im EU/EWR-Ausland (hier: Österreich). Verstoß gegen das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG). Risikotragung für Konformität mit gesetzlichen Vorgaben. Gesetzesverstoß durch Erzeugung von überzähligen Embryonen. keine abweichende Wertung bei Kryokonservierung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Erstattungsanspruch für Behandlungen im EU/EWR-Ausland gemäß § 13 Abs 4 S 1 SGB V besteht nicht, wenn bei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gemäß § 27a Abs 1 SGB V gegen das deutsche Embryonenschutzgesetz (ESchG) verstoßen worden ist. Dies ergibt sich sowohl aufgrund der Einheit der Rechtsordnung als auch aus der Gesetzesbegründung. Im Falle der Kostenerstattung gemäß § 13 Abs 4 SGB V trägt der Versicherte zudem das Risiko, dass die Leistung nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht.

2. Selbst nach der weitesten Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 5 ESchG dürfen aufgrund einer sorgfältigen und individuellen Prognose nicht mehr Embryonen erzeugt werden, als in einem Zyklus transferiert werden sollen. Ein Verstoß liegt auch dann vor, wenn ein Teil der Embryonen für einen späteren Kryo-Transfer konserviert wird. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Entstehung überzähliger Embryonen verhindert und das grundgesetzlich geschützte Leben in vitro erzeugter Embryonen geschützt werden.

 

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 12.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 10.02.2021 wird abgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Kostenerstattung einer in Österreich durchgeführten künstlichen Befruchtung in Höhe von 8.948,26 Euro.

Die 1991 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Die Gynäkologin S diagnostizierte eine ideopathische Sterilität und einen unauffälligen gynäkologischen Befund laut dem Bericht vom 17.12.2018. Bei dem Ehemann der Klägerin stellte sie eine andrologische Subfertilität fest.

Mit dem Behandlungsplan vom 27.04.2020 beantragte die S1 GmbH wegen andrologischer Sterilität eine intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Die Beklagte genehmigte am 18.05.2020 den Behandlungsplan für drei Zyklen.

Mit dem Abschlussbericht vom 22.06.2020 teilte H mit, dass am 15.06.2020 8 Eizellen entnommen worden seien, nach einer Stimulation seien 7 reif für die Behandlung mittels ICSI gewesen. Alle 7 Eizellen seien befruchtet worden. Am 20.06.2020 sei eine Blastozyste transferiert und drei Blastozysten seien kryokonserviert worden.

Mit dem Schreiben vom 27.07.2020 beantragte die Klägerin die Erstattung von Medikamenten in Höhe von 1.843,20 Euro, ärztlichen Leistungen in Höhe von 5.803,97 Euro und Fahrtkosten von 211,20 Euro.

Mit dem Kulturprotokoll vom 09.09.2020 teilte S3 mit, dass 8 Eizell-Cumulus-Komplexe gewonnen worden seien, es hätten sich 7 Eizellen entwickelt, 7 Eizellen seien befruchtet worden, ein Embryo sei transferiert worden, drei Eizellen seien kryokonserviert worden, die restlichen Zellen hätten sich nicht entwickelt.

Mit dem Schreiben vom 28.09.2020 bat die Beklagte um eine Bescheinigung, dass bei der künstlichen Befruchtung die Vorschriften des deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESchG) eingehalten worden seien. Mit der E-Mail vom 01.10.2020 teilte S3 der Klägerin mit, dass eine solche Bestätigung nicht ausgestellt werden könne, da die Behandlung nach österreichischem Recht, dem Fortpflanzungsmedizingesetz, erfolgt sei.

Mit dem Schreiben vom 09.10.2020 wies die Klägerin darauf hin, dass sie sämtliche

Unterlagen inklusive des Behandlungsplans eingereicht habe und von Anfang an alle Behandlungsschritte offengelegt habe. Wäre der Behandlungsplan nicht bewilligt worden, dann hätte sie auf eine Behandlung in Österreich verzichtet. Die Chancen auf einen Behandlungserfolg seien in deutschen Kinderwunschkliniken deutlich geringer. Dadurch komme es zu einer längeren Behandlungsdauer und einer größeren finanziellen und psychischen Belastung.

Mit dem Bescheid vom 12.10.2020 stellte die Beklagte fest, dass sie sich an den Kosten für die künstliche Befruchtung nicht beteiligen kann. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass vom Arzt zu bestätigen sei, dass das Embryonenschutzgesetz eingehalten worden sei. Die Klägerin habe telefonisch mitgeteilt, dass die geforderte Bescheinigung nicht vorgelegt werden könne, da bei der künstlichen Befruchtung das österreichische Recht angewandt worden sei.

Mit dem Schreiben vom 29.10.2020 erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass sie nicht nachvollziehen könne, dass die Kostenübernahme erst im Nachhinein abgelehnt worden sei. Von Anfang an habe sie alle Schritte inklusive Behandlungsplan, Leistungen und Kosten offengelegt. Der Beklagten sei bekannt gewesen, wo die Behandlung durchgeführt werden sollte. Wäre der Behandlungsplan nicht genehmigt worden, dann hätte die Klägerin die Behandlung nicht durchführen lassen.

Mit dem Widerspruchsbescheid vom 10.02.2021 wies die ...

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