Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens aG. außergewöhnliche Gehbehinderung. bzw. RF. Rundfunkgebührenfreiheit

 

Orientierungssatz

1. Zur Zuerkennung des Merkzeichens aG - außergewöhnliche Gehbehinderung - nach § 152 Abs. 4 SGB 9 ist erforderlich, dass der Schwerbehinderte in seinem Gehvermögen bereits ab dem ersten Schritt außergewöhnlich beeinträchtigt ist. Eine noch mögliche Wegstrecke von 30 bis 50 Metern spricht gegen eine solche Beeinträchtigung. Ist eine Wegstrecke von 50 bis 100 Meter mit Gehhilfen noch möglich und ist eine Fortsetzung der Wegstrecke über 100 Meter hinaus bei Einlegung von Pausen noch möglich, so ist eine Zuerkennung des Merkzeichens aG ausgeschlossen.

2. Bei einer Beeinträchtigung der Gehfähigkeit muss es sich um einen Dauerzustand handeln. Nicht ausreichend ist, wenn die massive Beeinträchtigung der Gehfähigkeit nur teilweise vorliegt.

3. Zur Zuerkennung des Merkzeichens RF - Rundfunkgebührenfreiheit - nach § 152 Abs. 4 SGB 9 ist erforderlich, dass der Schwerbehinderte an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann. Maßgeblich ist allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gfs. mit einem Rollstuhl oder mit Hilfe einer Begleitperson. Die Unmöglichkeit zur Teilnahme an solchen Veranstaltungen ist nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte ständig, d. h. allgemein und umfassend, vom Besuch ausgeschlossen ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.11.2019; Aktenzeichen B 9 SB 54/19 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1960 geborene Kläger begehrt von dem Beklagten die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens aG und des Merkzeichens RF jeweils ab dem 28. März 2013.

Im Rahmen einer Begutachtung im gerichtlichen Verfahren S 26 RA 45/03 vor dem Sozialgericht Düsseldorf stellte der gerichtlich bestellte Sachverständige S in einem nervenfachärztlichen Gutachten vom 31. Januar 2005 unter anderem fest:

"Der Kläger wurde nicht operiert, er ist auch nicht ins Erwerbsleben zurückgekehrt, die psychische Symptomatik hat sich weiterhin vertieft. Eine von Herrn W vorgeschlagene ambulante psychologische Betreuung und Begleitung scheitert letztlich daran, daß der Kläger im Rahmen seiner Persönlichkeitsveränderung mit einer völligen Fehleinschätzung über keine entsprechende Krankheitseinsicht verfügt und nicht zu einer solchen Behandlung zu motivieren ist."

In Rahmen einer Begutachtung im gerichtlichen Verfahren S 31 SB 130/06 vor dem Sozialgericht Düsseldorf stellte der gerichtlich bestellte Sachverständige T1 in seinem fachchirurgisch-orthopädischen Gutachten am 13. Januar 2007 unter anderem fest:

"Außerdem pendelt der große Bruch zwischen beiden Oberschenkelbereichen, sodass es dadurch zu erheblicher Einschränkung des Gehvermögens kommt, beim Gehen (vorwärts- und Rückwärtsführen der Beine pendelt der große Bruch zwischen den Beinen hin und her, was einmal zum Zug auch der Gewebe, Gefäße und Nerven im Oberschenkelbereich führt, die Beschwerden im Beinbereich sind sicher darauf zurückzuführen, ebenfalls die Gefühlsstörung im inneren rechten Beinbereich, die durch den Zug verursacht werden."

Der Sachverständige T1 ging dabei von einem Grad der Behinderung von 20 auf orthopädischem Gebiet aus.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. November 2007 stellte der Beklagte nach dem Rechtsstreit einen Grad der Behinderung von 80 und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen G fest.

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen 8 A 2038/12 schlossen der Kläger und die Stadt I im Jahr 2013 einen Vergleich, in dem sich die Stadt I verpflichtete, erneut über die Bewilligung einer Ausnahmegenehmigung von Parkerleichterungen für Schwerbehinderte unter der Rechtsauffassung des Senats des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen zu entscheiden. Der Senat führte in dem Vergleich zugrunde liegenden Beschluss vom 9. September 2013 unter anderem aus:

"Der Kläger hat bereits im Klageverfahren mit Schriftsatz einer Prozessbevollmächtigten vom 25. Mai 2012 angegeben, er könne keine 100 m ohne Pause zu Fuß zurücklegen. Dieser Vortrag ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen (vgl. fachchirurgisch-orthopädisches Gutachten des T1 vom 13. Januar 2007, 17 f.). Der Kläger hat seinen Vortrag im Zulassungsverfahren mit Schriftsatz vom 24. September 2012 konkretisiert, indem er dargelegt hat, dass bei ihm eine ins Detail gehende Auseinandersetzung mit seinem Gesundheitszustand erforderlich gewesen wäre, um beurteilen zu können, welches Gehleistungsvermögen unter Berücksichtigung der Hernie, der Hautirritation und der Wirbelsäulenschädigung tatsächlich noch vorhanden ist. Diese Tatsachenlage ist im anhängigen Verfahren von Relevanz, da für die gerichtliche Entscheidung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich ist."

Der Kläger stellte am 28. März 2013 bei dem Beklagten einen Änderungsantrag und begehrt die Feststellungen der...

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