Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen einer Zuerkennung des Merkzeichens "aG§ bzw. "RF" im Schwerbehindertenrecht

 

Orientierungssatz

1. Zur Zuerkennung des Merkzeichens aG darf die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Das Gehvermögen muss, einem Doppeloberschenkelamputierten vergleichbar, auf das Schwerste eingeschränkt sein. Bei Benutzung eines erforderlichen Rollstuhls muss der Betroffene ständig auf diesen angewiesen sein.

2. Das Gehvermögen muss bereits ab dem ersten Schritt außergewöhnlich beeinträchtigt sein.

3. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens RF sind nur dann gegeben, wenn der Schwerbehinderte wegen seines Leidens ständig, d. h. allgemein und umfassend, vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen ist.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 06.11.2019; Aktenzeichen B 9 SB 54/19 B)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.08.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) und "RF" (Befreiung von der Rundfunk- und Fernsehgebührenpflicht).

Der Kläger ist am 00.00.1960 geboren. Neben einer psychischen Erkrankung leidet er insbesondere an einem wiederholt operierten Leistenbruch mit einem kindskopfgroßen Hodenbruch, der zuletzt operativ nicht mehr versorgt wurde. Er ist der Auffassung, diese Erkrankung stütze sein Klagebegehren.

In Rahmen einer Begutachtung in einem früheren gerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf (S 31 SB 130/06) stellte der dortige Sachverständige Dr. T in seinem fachchirurgisch-orthopädischen Gutachten am 13. Januar 2007 unter anderem fest: "Außerdem pendelt der große Bruch zwischen beiden Oberschenkelbereichen, sodass es dadurch zu erheblicher Einschränkung des Gehvermögens kommt, beim Gehen (vorwärts- und Rückwärtsführen der Beine) pendelt der große Bruch zwischen den Beinen hin und her, was einmal zum Zug auch der Gewebe, Gefäße und Nerven im Oberschenkelbereich führt, die Beschwerden im Beinbereich sind sicher darauf zurückzuführen, ebenfalls die Gefühlsstörung im inneren rechten Beinbereich, die durch den Zug verursacht werden." Der Sachverständige Dr. T ging dabei von einem Grad der Behinderung (GdB) von 20 auf orthopädischem Gebiet aus. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. November 2007 stellte der Beklagte nach Abschluss dieses Rechtsstreits einen GdB von 80 und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" fest.

Der Kläger stellte am 28. März 2013 bei dem Beklagten einen Änderungsantrag und begehrte die Feststellungen der Merkzeichen "aG" und "RF". Der Beklagte holte Befundberichte von dem Hautarzt Dr. B und der Allgemeinmedizinerin Frau Dr. T1 ein. Mit Bescheid vom 31. Juli 2013 lehnte er sodann den Antrag ab. Hiergegen erhob der Kläger am 23. August 2013 Widerspruch. Im Widerspruchsverfahren ging der Beklagte von dem Vorliegen der folgenden Gesundheitsstörungen aus, nachdem er erneut einen Befundbericht der Allgemeinmedizinerin Frau Dr. T1 eingeholt hatte:

- Psychische Fehlhaltung mit chronischer Persönlichkeitsveränderung; Sensibilitätsstörung der rechten Körperhälfte GdB 50

- Hüftgelenkverschleiß beidseitig GdB 30

- Wiederholt operierter Leistenbruch mit Rezidiv; Narbenbeschwerden GdB 20

- Chronische Bronchitis GdB 10

- Beginnende koronare Herzerkrankung GdB 10

- Chronische Herzerkrankung; Allergie GdB 10

Insgesamt ging der Beklagte im Widerspruchsverfahren von einem GdB von 80 und dem Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens "G" aus. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2014 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 20. Juni 2014 Klage vor dem SG Düsseldorf erhoben. Er hat vorgetragen, er sei aufgrund der Hernie in seiner Bewegung erheblich eingeschränkt und bezweifele die Ergebnisse der gerichtlichen Beweisaufnahme.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "RF" ab dem 28. März 2013 festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Merkzeichen aG und G seien bei dem Kläger nicht gegeben.

Das SG hat Befundberichte des Hautarztes Dr. B und der Allgemeinmedizinerin Dr. T1 eingeholt und sodann Sachverständigenbeweis erhoben.

Der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. X hat in seinem allgemein-chirurgischen Gutachten vom 2. Dezember 2015 unter anderem ausgeführt:

"Bei dem Patienten befindet sich nach mehrfachen Eingriffen ein Leistenbruch von ca. Kindskopfgröße. Der Bruch ist nicht eingeklemmt, die Hautverhältnisse sind reizlos. [ ...] Die angegebene Gefühlsminderu...

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