Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlagebeschluss an das BVerfG. Arbeitslosengeld. fiktive Bemessung wegen Mutterschutz- und Erziehungszeiten. Erweiterung des Bemessungszeitraumes und -rahmens. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Verstößt § 130 SGB 3 der ab 1.1.2005 maßgebenden Fassung gegen Art 6 Abs 4 GG oder Art 3 GG, soweit aufgrund dieser Regelung eine fiktive Bemessung nach § 132 SGB 3 und nicht eine Bemessung aufgrund real erwirtschafteter Sozialversicherungsbeiträge zu erfolgen hat, wenn ein Elternteil ein Kind unter drei Jahren mehr als 580 Tage Vollzeit betreut und erzieht statt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen?

2. Widerspricht die Regelung des § 132 SGB 3 dem Gleichheitsgebot, soweit betreuende Eltern, deren Bemessungsentgelt auf der Grundlage des real erzielten Arbeitseinkommens höher wäre, durch diese Berechnung schlechter gestellt werden, wohingegen betreuende Eltern, deren Realeinkommen niedriger war, sogar bessergestellt werden?

3. Az. des BVerfG: 1 BvL 11/07

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 10.03.2010; Aktenzeichen 1 BvL 11/07)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Bemessungsentgeltes, das dem Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld ab 11.01.2006 zugrunde zu legen ist.

Die Klägerin wendet sich dagegen, dass ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit nicht auf der Grundlage ihres zuvor erwirtschafteten Einkommens berechnet wird, sondern auf der Grundlage eines fiktiven Bemessungsentgeltes, wodurch sie deutlich weniger erhält.

Die Klägerin, die zunächst im Rheinland lebte, war vom 01.12.2000 bis 14.01.2003 bei ihrem Arbeitgeber, …. als Buchhalterin im Controlling sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

In diesem Zeitraum erzielte sie ausweislich der Bescheinigung ihrer Krankenkasse folgendes gemeldetes Bruttoeinkommen:

01.12.00

-       

31.12.00

=       

4875,-€,

01.01.01

-       

31.12.01

=       

64303,-€,

01.01.02

-       

30.09.02

=       

23865,-€,

01.10.02

-       

31.12.02

=       

9883,-€,

01.01.03

-       

14.01.03

=       

1071,-€.

Ab 15.01.2003 befand sie sich im Mutterschutz. Das Kind wurde am …. geboren. Bis einschließlich 21.02.2005 bezog die Klägerin Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz; für den Zeitraum 22.02.2005 bis 21.11.2005 bezog die Klägerin, die mittlerweile nach Dresden gezogen war, Leistungen nach dem Sächsischen Landeserziehungsgeldgesetz. Die Klägerin ist alleinerziehend. Das Arbeitsverhältnis wurde gelöst.

Die Klägerin meldete sich am 15.12.2005 arbeitslos und stellte sich ab 11.01.2006 der Beklagten zur Verfügung.

Nachdem der Klägerin zunächst ab 11.01.2006 vorläufig Arbeitslosengeld bewilligt worden war, erfolgte durch Bescheid vom 20.01.2006 eine endgültige Leistungsfestsetzung, durch die der Klägerin ab 11.01.2006 ein täglicher Leistungssatz von 25,85 € bewilligt wurde.

Da dies weniger war, als die Klägerin auf der Grundlage ihres letzten Einkommens errechnet hatte und sie die Berechnung der Beklagten nicht nachzuvollziehen vermochte, legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein mit dem Ziel einer Anhebung des bewilligten Leistungssatzes.

Dieser Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 28.03.2006 zurückgewiesen und zur Begründung im Kern folgendes ausgeführt:

Die Klägerin habe gemäß § 129 Nr.1 SGB III einen Anspruch auf 67 % des pauschalierten Nettoentgeltes (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergebe, das sie im Bemessungszeitraum erzielt habe (Bemessungsentgelt).

Der Bemessungszeitraum umfasse gemäß § 130 Abs.1 SGB III der durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBL I, S.2848), in Kraft ab 01.01.2005 eingefügten Neufassung grundsätzlich die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Beschäftigungsrahmen.

Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr; er ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruches, § 130 Abs.1 Satz 2 SGB III.

Da Zeiten des Bezuges von Erziehungsgeld - so führt die Beklagte weiter aus - versicherungspflichtig seien und die Klägerin bis 22.11.2005 Erziehungsgeld bezogen habe, sei als Bemessungsrahmen grundsätzlich der Zeitraum 23.11.2004 - 22.11.2005 festzustellen.

In diesem Zeitraum sei aber kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis festzustellen.

Die Zeiten des Bezuges von Erziehungsgeld könnten auch nicht außer Betracht bleiben.

Sei festzustellen - wie bei der Klägerin- , dass der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält, so werde der Bemessungsrahmen gemäß § 130 Nr.1 SGB III der ab 01.01.2005 maßgebenden Fassung auf zwei Jahre erweitert. Dies erweitere zwar für die Klägerin den Rahmen auf den Zeitraum 23.11.2003 - 22.11.2005, es ändere sich dadurch jedoch nichts, da auch in di...

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