Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. fiktive Bemessung wegen Mutterschutz- und Erziehungszeiten. Erweiterung des Bemessungszeitraums und -rahmens. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Auch wenn der Bemessungszeitraum im erweiterten Bemessungsrahmen (§ 130 Abs 3 SGB 3) durch Erziehungszeiten weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält, ist eine Erweiterung des Bemessungsrahmens wegen Mutterschutz- bzw Erziehungszeiten in Anwendung des § 130 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB 3 nicht möglich.

2. Es bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber dem Regelungskonzept der fiktiven Bemessung des Arbeitslosengeldes und den Qualifikationsgruppen gemäß § 132 SGB 3, wenn Mutterschutz- und Erziehungszeiten für die fiktive Bemessung mitursächlich sind.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.08.2011; Aktenzeichen B 11 AL 32/10 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 21.03.2006 - S 7 AL 446/05 - wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) streitig.

Die 1969 geborene, verheiratete Klägerin ist Diplom-Betriebswirtin. Sie war seit dem 01.09.1996 bei der Firma M T-Service AG & Co Management oHG, W, zuletzt als Abteilungsleiterin des Bereichs "Organisation/Vertrieb" beschäftigt. Am 11.03.2002 wurde ihr Sohn Niclas geboren; anschließend befand sich die Klägerin bis zum 11.03.2005 in Elternzeit. In den ersten sechs Lebensmonaten ihres Sohnes bezog die Klägerin Erziehungsgeld. Vom 01.08.2004 bis zum 11.03.2005 übte sie eine geringfügige Beschäftigung aus. Am 12.03.2005 nahm die Klägerin wieder eine Vollzeitbeschäftigung bei ihrem Arbeitgeber auf. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Kündigung des Arbeitgebers zum 30.06.2005 beendet. Im März 2005 verdiente die Klägerin 2.334,16 € brutto und vom 01.04. bis zum 30.06.2005 monatlich jeweils 3.834,69 € brutto.

Am 01.07.2005 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Antragsgemäß bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 22.07.2005 Alg für 360 Kalendertage nach einem fiktiven täglichen Bemessungsentgelt von 96,60 €, der Lohnsteuerklasse 3 und dem erhöhten Leistungssatz. Das tägliche Leistungsentgelt betrug 67,82 € und der tägliche Leistungssatz 45,44 €. Den auf Gewährung höherer Leistungen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2005 als unbegründet zurück. Weil innerhalb des auf 2 Jahre erweiterten Bemessungsrahmens ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht habe festgestellt werden könne, habe nach § 132 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden müssen. Die Klägerin verfüge über eine Hochschulausbildung, also die Qualifikationsgruppe 1, so dass das Arbeitsentgelt 1 / 300 der Bezugsgröße betrage. Dies führe zu einem durchschnittlichen täglichen Bemessungsentgelt von 96,60 €.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Mainz (SG) mit Urteil vom 21.03.2006 abgewiesen. Die Höhe des Alg sei zutreffend festgestellt worden. Die Regelung des § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III wirke sich nicht zugunsten der Klägerin aus. Die Klägerin habe in dem auf 2 Jahre erweiterten Bemessungsrahmen keinen Bemessungszeitraum von 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt erfüllt, so dass § 132 Abs. 1 SGB III eingreife.

Gegen das ihr am 13.04.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12.05.2006 Berufung eingelegt.

Sie trägt im Wesentlichen ergänzend vor:

Bei der Bemessung des Alg werde sie nur deshalb schlechter gestellt, weil sie Elternzeit in Anspruch genommen habe. Dies sei gesetzlich nicht beabsichtigt. Die Beklagte müsse deshalb der Bemessung des Alg das Bruttoarbeitsentgelt zugrunde legen, das sie unmittelbar vor Inanspruchnahme der Elternzeit und nach erneuter Aufnahme ihrer Beschäftigung am 12.03.2005 bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber verdient habe. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 SGB III müssten bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes Zeiten außer Betracht bleiben, in denen der Arbeitslose Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen oder er ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen habe. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift sei die gesetzgeberische Zielrichtung klar. Die Berechnung des Alg aus einem zeitlichen Rahmen, in dem ein Arbeitsloser wegen der Inanspruchnahme von Elternzeit weniger oder gar kein Arbeitsentgelt erzielt habe, käme danach nicht in Betracht. Diese Zeiten seien im Sinne von Aufschubtatbeständen weder bei der Bestimmung des Bemessungsrahmens noch bei dem eigentlichen Bemessungszeitraum zu berücksichtigen. Dies führe zu der einzig richtigen und auch mit der gesetzgeberischen Zielsetzung in Einklang zu bringenden Folge, dass sich Bemessungsrahmen und Bemessungszeitraum "nach hinten" mit der Möglichkeit der Einbeziehung von Zeit...

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