Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nachweis der Hilfebedürftigkeit. Vorlage von Kontoauszügen. Mitwirkungspflicht. Sozialdatenschutz. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Vorlage von Kontoauszügen kann für die Prüfung der Hilfebedürftigkeit verlangt werden. Die Grenzen der Mitwirkungspflicht gemäß § 65 SGB 1 werden dadurch nicht überschritten. Ein Verdacht des Leistungsmissbrauchs ist nicht Voraussetzung. Wegen der Verantwortung vor dem Steuerzahler, der für diese Leistungen aufkommt, muß sich der Leistungsträger nicht auf die bloßen Angaben der jeweiligen Antragsteller zur (vermeintlichen) Hilfebedürftigkeit verlassen.

 

Orientierungssatz

Da es sich bei den angeforderten Kontoauszügen um leistungserhebliche Tatsachen und Beweismittel iS des § 60 Abs 1 SGB 1 handelt, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Sozialverwaltung erforderlich sind (§ 67a SGB 10), steht der Schutz der Sozialdaten aus §§ 35 SGB 1, 67ff SGB 10 dem Verlangen nicht entgegen und auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht beeinträchtigt.

 

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II, ohne ihre Kontoauszüge vorlegen zu müssen.

Die 1968 geborene Antragstellerin stellte am 09.11.2005 einen Antrag auf Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.01.2006. Die Antragstellerin wurde gebeten, Kontoauszüge für das letzte halbe Jahr vorzulegen zwecks Überprüfung der Hilfebedürftigkeit. Bereits mit Schreiben vom 08.11.2005 weigerte sich die Antragstellerin, die Kontoauszüge vorzulegen. Sie verwies auf einen Beschluss des Hessischen LSG, Az. 7 AS 32/05 ER, wonach die Buchungen auf Kontoauszügen zu geschützten Sozialdaten gehören würden.

Mit Schreiben vom 19.12.2005 und vom 06.01.2006 mahnte die Antragstellerin den Antragsgegner an, ihren Antrag vom 08.11.2005 zu bearbeiten.

Mit Bescheid vom 06.01.2006 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen für den Monat Januar 2006 als Darlehen, da die Hilfebedürftigkeit nicht abschließend habe geklärt werden können. Sie habe sich geweigert, die verlangten Kontoauszüge vorzulegen. Kontoauszüge hätten einen Beweiswert für Zahlungsabgänge und Zahlungseingänge. Das Verlangen ihrer Beibringung sei verhältnismäßig und angemessen. Wenn die Antragstellerin bis zum 25.01.2006 ihrer Mitwirkungspflicht nachkäme und sich ein ungekürzter Anspruch ergäbe, würde die darlehensweise Gewährung in eine laufende Leistung umgestellt werden.

Mit Schreiben vom 16.01.2006 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.01.2006 ein. Sie lehne eine darlehensweise Bewilligung der Leistung ab. Zu einer Vorlage der Kontoauszüge sei sie aber nicht bereit.

Mit Bescheid vom 17.02.2006 hob der Antragsgegner die Bewilligung vom 06.01.2006 auf und stellte die darlehensweise Gewährung in eine laufende Leistungsgewährung um. Der Antragstellerin würden Leistungen für Januar und Februar 2006 bewilligt. Ab 01.03.2006 werde die Leistung eingestellt, da die Hilfebedürftigkeit nicht abschließend geklärt werden könne.

Am 22.02.2006 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dresden Antrag auf einstweiligen Rechtschutz gestellt. Sie begehrt Leistungen nach dem SGB II über den 28.02.2006 hinaus. Sie ist der Ansicht, sie müsse die verlangten Kontoauszüge nicht vorlegen.

Die Antragstellerin beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin über den 28.02.2006 hinaus Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Der Antragsgegner führt in seiner Antragserwiderung aus, für den Erfolg des Antrags fehle es sowohl am Anordnungsanspruch als auch am Anordnungsgrund. Ob die Antragstellerin einen Anspruch auf Leistungen habe, könne derzeit nicht festgestellt werden, da sie die verlangten Kontoauszüge nicht vorlege. Auch an der Eilbedürftigkeit fehle es. Die Antragstellerin habe den Verzug der Leistung selber veranlasst durch ihre fehlende Mitwirkung. Sie sei rechtzeitig aufgefordert worden, die Nachweise zu erbringen. Das habe sie trotz mehrfacher Aufforderung nicht getan.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war abzuweisen, da er bereits unzulässig ist. Es fehlt im vorliegenden Fall am Rechtschutzbedürfnis.

Am Rechtsschutzbedürfnis fehlt es, wenn das angestrebte Ziel auf einfachere Weise erreicht werden kann. Dies ist hier gegeben. Die Antragstellerin begehrt Leistungen nach dem SGB II über den Februar 2006 hinaus. Darüber hätte einfacher und schneller durch den Antragsgegner entschieden werden können, wenn die Antragstellerin ihm die verlangten Kontoauszüge vorgelegt hätte, wie es ihrer Mitwirkungspflicht aus § 65 Abs. 1 ...

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