Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nachweis der Hilfebedürftigkeit. Pflicht zur Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge ohne Verdacht auf Leistungsmissbrauch. Verfassungsmäßigkeit. Rechtsverhältnis iS von § 55 Abs 1 Nr 1 SGG

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit iS des SGB 2 kann die Vorlage ungeschwärzter Kontoauszüge von Antragsteller bzw Leistungsbezieher auch dann ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht verlangt werden, wenn ein konkreter Verdacht auf Leistungsmissbrauch nicht besteht.

 

Orientierungssatz

Die Pflicht oder Nichtpflicht des Hilfebedürftigen zur Vorlage von Kontoauszügen stellt ein Rechtsverhältnis iS von § 55 Abs 1 Nr 1 SGG dar.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II davon abhängig gemacht werden kann, dass die Klägerin ihre Kontoauszüge (ungeschwärzt) der Beklagten vorlegt.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 10. Februar 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis zum 31. März 2006 in Höhe von 548,34 € monatlich. Als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft wurden neben der Klägerin deren beide Söhne berücksichtigt. Die Beklagte bat die Klägerin zugleich unter Hinweis auf §§ 60, 66 SGB I um Vorlage ihrer Originalkontoauszüge der Monate November und Dezember 2005 bis spätestens 27. Februar 2006.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 3. März 2006 Widerspruch ein. Die Forderung nach Vorlage der Originalkontoauszüge der Monate November und Dezember 2005 übersteige den Rahmen ihrer Mithilfepflicht. Außerdem liege eine Kriminalisierung vor, da das Verlangen der Kontoauszüge die Unterstellung eines Betrugsversuchs ihrerseits beinhalte. Des Weiteren sei sie nicht die Hilfeempfängerin, sondern ihre Söhne. Zugleich beantragte sie die Fortzahlung der Leistungen über den 31. März 2006 hinaus.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 15. März 2006 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II voraussetze, dass die Klägerin und deren minderjährigen Kinder hilfebedürftig seien. Sie, die Beklagte, habe die beanspruchten Leistungen über den Zeitraum 31. März 2006 nicht gewährt, da eine abschließende Prüfung der Bedürftigkeit nicht vorgenommen werden könne. Die Klägerin habe die Kontoauszüge vollständig und im Original vorzulegen.

Am 20. März 2006 erhob die Klägerin Klage. Es träfe nicht zu, dass sie und ihre minderjährigen Kinder hilfebedürftig seien. Lediglich ihre Kinder erhielten Hilfeleistungen nach dem SGB II. Bei ihren Kindern handele es sich nicht um Arbeitssuchende, sondern um minderjährige, schulpflichtige Kinder, deren Lebensunterhalt nicht gesichert sei, da die Väter keinerlei Unterhaltszahlungen leisteten. Da nicht sie, sondern ihre Kinder Hilfeempfänger seien, müsste deren Einkommen geprüft werden, nicht ihres. Ihre Kinder hätten keine Bankkonten. Aus diesem Grunde könnten sie auch keine Kontoauszüge vorlegen. Das Einkommen ihrer Kinder bestehe lediglich aus den Hilfeleistungen nach dem SGB II und dem Kindergeld. Sie sei bereit, diese nachzuweisen. Sie sei auch bereit, ihr Einkommen nachzuweisen, jedoch weigere sie sich, Originalkontoauszüge vorzulegen, aus denen ihre kompletten Kontobewegungen sichtbar seien. Sie sehe hierfür keine Notwendigkeit, da sie auch als Sozialhilfeempfängerin nicht dazu verpflichtet gewesen sei, ungeschwärzte Kontoauszüge einzureichen. Die Prüfungspflicht der Beklagten wäre erfüllt, würde sie geschwärzte Kontoauszüge einreichen, aus denen ihr Einkommen, das ihrer Kinder und ihre monatlichen Aufwendungen für Miete, Krankenkasse usw. ersichtlich seien. Die Forderung, ihre kompletten Kontobewegungen darzulegen, greife unverhältnismäßig weit in ihre Privatsphäre ein und unterstelle ihr Betrugsabsichten.

Die Klägerin hat ursprünglich sinngemäß beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2006 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe über den 31. März 2006 hinaus zu gewähren.

Laut Aktenvermerk der Beklagten vom 3. April 2006 wurde der Fortzahlungsantrag für den Zeitraum vom 1. April 2006 bis zum 30. September 2006 bewilligt. Mit Schreiben vom gleichen Tag forderte die Beklagte die Klägerin auf, bis spätestens 20. April 2006 die Kontoauszüge der letzten drei Monate vorzulegen und verwies auf § 60 SGB I. Bei Nichtvorlage bis zum oben genannten Termin werde sie die Geldleistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz entziehen.

Mit Schreiben vom 9. April 2006 übersandte die Klägerin der Beklagten die Kontoauszüge von November 2005 bis April 2006.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass eine Rechtsgrundlage für die Forderung nach Vorlage der Kontoauszüge nicht ersichtlich sei. Zu ihren G...

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