Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anordnungsgrund. Vermögensberücksichtigung. Aktien und Erbschaft. Beendigung der Hilfebedürftigkeit. Anfechtung eines Testaments wegen Sittenwidrigkeit. Rechtsprechung des BGH zum sog Behindertentestament nicht übertragbar

 

Orientierungssatz

1. Ein Anordnungsgrund liegt nicht vor, wenn ein Arbeitsuchender über Aktien verfügt. Der Umstand, dass es sich um Schonvermögen handelt, ist bei der Frage, ob ein Grund für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegeben ist, unbeachtlich. Ein Arbeitsuchender kann darauf verwiesen werden, seinen Lebensunterhalt aus seinem Vermögen zu bestreiten, bevor er gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nimmt (vgl LSG Essen vom 7.9.2006 - L 9 B 81/06 AS ER und vom 12.7.2006 - L 9 B 21/06 AS).

2. Zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit gem § 2 Abs 1 SGB 2 ist ein Arbeitsuchender gehalten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Hierzu gehört auch die Anfechtung des Testaments wegen Sittenwidrigkeit, mit dem ein Erblasser zu Gunsten eines SGB 2-Leistungsbeziehers verfügt, dass die Erbschaft nur insoweit ausgezahlt wird, als bedürftigkeitsabhängige Sozialleistungen weiterhin bezogen werden können.

3. Die Rechtsprechung des BGH zu den sog Behindertentestamenten (vgl BGH vom 21.3.1990 - IV ZR 169/89 = BGHZ 111, 36) kann nicht ohne Weiteres auf einen Arbeitsuchenden übertragen werden, wenn dieser nicht behindert ist und nicht der besonderen Fürsorge seiner Mutter bedurfte und bedarf. Zwar misst der BGH der Testierfreiheit einen hohen Wert zu, dies kann jedoch nicht so weit gehen, dass dem Erben sämtliche Annehmlichkeiten (Hobbys, Reiten usw) aus dem Nachlass finanziert werden, während für den Lebensunterhalt der Steuerzahler aufkommen muss.

 

Tatbestand

Streitig ist die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dem Antragsteller trotz einer Erbschaft mit einem Wert von rund 240000,- € Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB 2) zu erbringen.

Der alleinstehende Antragsteller bezog bis zum 22.03.2003 Arbeitslosengeld in Höhe von 189,49 € wöchentlich aus der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung. Arbeitslosenhilfe wurde ihm wegen vorhandenen Vermögens (Aktien) versagt.

Am 02.12.2005 beantragte der Antragsteller Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB 2 und gab dazu an, im Haus seiner Eltern zu leben, wobei der Vater allerdings im Jahr 2002 bereits verstorben war. Er bewohnte nach eigenen Angaben ein Zimmer von 12 m² in der 70 m² großen Wohnung der Eltern, für die laut Bescheinigung seiner Mutter vom 08.01.2006 Miet-, Betriebs- und Heizkosten in Höhe von insgesamt 189,88 € anfielen. Als Vermögen waren ein Bausparguthaben in Höhe von 1461,08 €, ein Sparguthaben von 101,14 € sowie ein Aktiendepot im Wert von 7226,75 € vorhanden.

Die Antragsgegnerin bewilligte daraufhin fortlaufend Leistungen in Höhe des Regelsatzes und der von ihr festgestellten Kosten der Unterkunft und Heizung.

Am 10.12.2008 verstarb die Mutter des Antragstellers. Vorher verfügte sie, bereits bettlägerig, vor dem Notar x., der sie zu diesem Zweck in ihrer Wohnung aufgesucht hatte, testamentarisch, dass ihr einziger Sohn, der Antragsteller, nichtbefreiter Vorerbe ihres Vermögens sein sollte. Zum Nacherben wurde ihr Bruder x., geboren am x. ernannt und für den Fall dessen Todes dessen Neffe x., geboren am x.

Zur Verwaltung des ihrem Sohn zugewendeten Nachlasses bestimmte sie die Dauertestamentsvollstreckung gem §§ 2209, 2210 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bis zum Tod des Vorerben an. Testamentsvollstrecker sollte ihr Bruder als Nacherbe sein und ersatzweise dessen Neffe.

Weiter heißt es in dem Testament, der Testamentsvollstrecker habe dafür Sorge zu tragen, dass der Nachlass möglichst erhalten bleibe und der Vorerbe in den Genuss der Früchte des Nachlasses komme, ohne dass ihm (zB öffentlich-rechtliche) Zuwendungen verloren gingen. Anspruch auf die Auskehrung des Nachlasses sowie von Nachlassgegenständen und Früchten habe der Vorerbe nicht. Die Entscheidung liege allein beim Testamentsvollstrecker. Er habe die Befugnisse nach § 2207 BGB und sei von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Über den Erbteil bzw die Erbschaft selbst dürfe der jeweilige Testamentsvollstrecker nicht verfügen. Der ihrem Sohn als Vorerben hinterlassene Nachlass solle dazu dienen, es ihm zu ermöglichen, sein Leben wie bisher weiter zu führen. Sie stelle es in das Ermessen des Testamentsvollstreckers, aus den Erträgnissen und - wenn er dies für erforderlich halten solle - auch der Substanz des Nachlasses Sachleistungen und Vergünstigungen für den Vorerben zu erbringen, die der Testamentsvollstrecker für zweckmäßig und sinnvoll halte und die geeignet seien, dem Vorerben Erleichterungen und Hilfen zu verschaffen.

Weiter ist im Testament Folgendes bestimmt:

a) Der Testamentsvollstrecker hat meinem Sohn x. die ihm gebührenden anteiligen jährlichen Reinerträgnisse (Nutzunge...

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