Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Erbschaft. Bedürftigentestament. Testamentsvollstreckung. nicht befreiter Vorerbe. Testamentsauslegung. Anrechnung realisierbarer Ansprüche. Obliegenheit zur Durchsetzung der Ansprüche auf Vollversorgung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein Erbe nicht befreiter Vorerbe und Testamentsvollstreckung angeordnet, so stellt die Erbschaft keine einmalige Einnahme nach § 11 Abs 3 SGB 2 dar (Abgrenzung zu BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 101/11 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 47). Die Beschränkungen der Testamentsvollstreckung stehen insoweit einer selbstbestimmten Verwertung des Erbes durch den Erben entgegen. Berücksichtigungsfähig (nach § 11 Abs 1 SGB 2) ist dann lediglich der Anspruch gegen den Testamentsvollstrecker sowie tatsächlich gezahlte Leistungen.

2. Legt die Auslegung des Testaments (§ 2084 BGB, § 133 BGB) durch detaillierte Aufzählung der zu deckenden Bedarfe eine umfassende Versorgung des Erben nahe und ist eine Begrenzung der Versorgung auf lediglich zusätzliche Leistungen (neben Leistungen nach dem SGB 2) im Testament auch nicht angedeutet, so ist von einer vollen Versorgung des Erben auszugehen (Abgrenzung zu und teilweise Abweichung von LSG Stuttgart vom 9.10.2007 - L 7 AS 3528/07 ER-B = Breith 2008, 43).

3. Den sich aus dem Testament ergebenden Anspruch gegen den Testamentsvollstrecker hat der Leistungsempfänger durchzusetzen. Unterlässt er dies, sind die unterbliebenen Einnahmen fiktiv anzurechnen (Anschluss an BVerwG vom 5.5.1983 - 5 C 112/81 = BVerwGE 67, 163; vgl auch SG Dortmund vom 25.9.2009 - S 29 AS 309/09 ER = ZEV 2010, 54).

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit dem vorliegenden Verfahren die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 06.07.2010 bis 18.09.2012.

Am 27.01.2003 ließ die Mutter des 1965 geborenen Klägers ein öffentliches Testament erstellen, in dem sie zur einen Hälfte ihren Sohn, den Kläger, als Erben einsetzte für die andere Hälfte ihren Cousin Herrn I.. Der Sohn ist bezüglich seiner Hälfte nicht befreiter Vorerbe, der Cousin der Mutter des Klägers, Herr I., Nacherbe. Zudem wurde Herr I. als Testamentsvollstrecker eingesetzt. Im Testament heißt es weiter wie folgt:

“Der Testamentsvollstrecker ist verpflichtet, meinem Sohn J. für die nachgenannten Zwecke Mittel nach freiem Ermessen aus den Erträgnissen des Vermächtnisses zur Verfügung zu stellen:

Taschengeld in angemessener Höhe, Kleidung, Bettwäsche, persönliche Anschaffung, die Einrichtung und Gewährung einer Wohnung im bisherigen Umfang einschließlich der Anschaffung der dafür notwendigen Materialien und Ausstattungsgegenstände, ärztliche Behandlung, Therapien und Medikamente, die von der Krankenkasse nicht oder nicht vollständig bezahlt werden z. B. Brille, Zahnersatz, Kuraufenthalte, Besuch bei Verwandten und Freunden.

Auf die Substanz des Vermögens darf der Testamentsvollstrecker zurückgreifen, sofern dies notwendig ist. Der Testamentsvollstrecker hat immer nach dem Wohle meines Sohnes J. zu entscheiden.„

Die Mutter des Klägers war Eigentümerin zweier Immobilien (K. und L. jeweils in M.). Die Immobilie in der L. bewohnte der Kläger vor und nach dem Tod seiner Mutter. Nach dem Stand der Akten bewohnt der Kläger diese Immobilie derzeit allein.

Das Testament wurde nach dem Tod der Mutter des Klägers durch das Amtsgericht N. am 01.04.2009 eröffnet (12 IV 249/09).

Mit Beschluss vom 16.06.2010 ordnete das Amtsgericht N. als Vormundschaftsgericht in dem Verfahren 19 XVII 98/10 die Betreuung des Klägers durch Herrn O. (Mitarbeiter des Vereins P. aus N.) an. Der Aufgabenkreis des Betreuers umfasste die Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie den Widerruf der erteilten General- und Vorsorgevollmacht. Der Kläger sei seit ca. 35 Jahren alkoholkrank. Eine Betreuung sei hier trotz der Vollmacht des Herrn I. notwendig, da dieser auch als Testamentsvollstrecker und Nacherbe tätig sei, weshalb die Gefahr einer Interessenskollision bestehe.

Der Kläger stand bei der Beklagten bis zum 30.06.2010 im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende.

Mit Schreiben vom 01.07.2010 teilte der Testamentsvollstrecker dem P. mit, dass im Erbe zwei Grundstücke enthalten seien, wovon er eines verkauft habe. Die Hälfte des Erlöses, ca. 34.000,00 Euro, habe er auf das Konto der Testamentsvollstreckung überwiesen. Zur Versorgung des Klägers trage er sämtliche Nebenkosten und Grundsteuern, gewähre dem Kläger Kleidung und Nahrungsmittel sowie ein Taschengeld von monatlich 200,00 Euro. Allerdings würden nur die Nutzungen aus dem Testament zur Verfügung stehen, welche zur Unterhaltung des Klägers keineswegs hinreichen würden.

Am 06.07.2010 beantragte der Kläger die Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende über den 30.06.2010 hinaus.

Diesen Antra...

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