Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherungsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine mittels EGVP-Nachricht erhobene Klage ist unzulässig.

2. Für eine vollständige Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid genügt der Hinweis, genügt der vollständige Hinweis auf die zulässigen Übermittlungswege und der Verweis auf frei verfügbare Internetangebote im Übrigen.

3. Eine Rechtsmittelbelehrung, der der Hinweis auf die Möglichkeit die Klage mittels De-Mail zu erheben fehlt, ist unzulässig.

4. Klageerhebung ist das unbedingt erklärte, ernsthafte Begehren, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen.

5. Das Gericht ist nicht gehindert zum Zwecke der Auslegung eines späteren, formwirksamen Klageschriftsatzes auch weitere Umstände - hier insbesondere eine frühere nicht formgerechte Klageerhebung - heranzuziehen.

6. Eine vergrößerte männliche Brust wirkt grundsätzlich nicht entstellend.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine operative Brustverkleinerung als Leistung nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V).

Der 1986 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet an ausgeprägter Gynäkomastie beidseitig, links mehr als rechts bei einem Gewicht von 100 kg und einer Köpergröße von 188 cm.

Unter dem 5. Mai 2020 beantragte er bei der Beklagten durch die Ärztin Prof. h.c. Dr. E. die Kostenübernahme für eine subkutane Mastektomie beidseits.

Mit Bescheid vom 3. Juni 2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. In der vertraglichen Versorgung stehe die beantragte Maßnahme grundsätzlich nicht zur Verfügung. Ein Ausnahmefall sei vorliegend nicht ersichtlich. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn eine massive Funktionseinschränkung des Körpers vorliege.

Der Kläger legte daraufhin nochmals ärztliche Atteste vor. Mit weiterem Bescheid vom 14. September 2020 wiederholte die Beklagte ihre Entscheidung vom 3. Juni 2020.

Am 14. September 2020 legte der Kläger hiergegen unter weiterer Vorlage ärztlicher Atteste Widerspruch ein. Prof. Dr. E. teilte - ohne weitere Konkretisierung - mit, es bestünden Funktionsbeeinträchtigungen mit massiven Schmerzen. Das Resektionsgewicht betrage 200g. Prof. Dr. H. bescheinigte, der Kläger leide neben einer psychischen Grunderkrankung unter einer Gynäkomastie beidseits (Grad II), welche einen sozialen Rückzug begünstige und zu einer deutlichen psychischen Belastung führe. Konservative Maßnahmen einschließlich eines Ausschleichens der antipsychotischen Medikation zeigten keinen ausreichenden Erfolg. In einem endokrinologischen Befundbericht wird von anhaltenden Kopfschmerzattacken mit Schlaflosigkeit berichtet. Eine endokrinologische Ursache der Gynäkomastie werde nicht gesehen. Es sei vielmehr von einer persistierenden Pubertätsgynäkomastie auszugehen. Eine Kontraindikation für eine Mastektomie bestehe deshalb nicht.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst mit der Begutachtung. Unter dem 4. November 2020 kam der Arzt im Medizinischen Dienst Dr. C. in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Gynäkomastie keinen Krankheitswert habe. Sie sei nicht so ausgeprägt, dass eine Entstellung vorliege. Hinweise auf Malignität oder andere somatische Störungen bestünden nicht. Die beschriebenen Schmerzen seien morphologisch nicht nachvollziehbar. Der kosmetische Hintergrund der Operation stehe daher deutlich im Vordergrund. Psychische Beeinträchtigungen müssten mit den Mitteln der Psychotherapie behandelt werden.

In Kenntnis des Gutachtens legte der Kläger Fotos vor. Die Beklagte hielt dennoch im Widerspruchsbescheid vom 9. April 2021 an ihrer Ausgangsentscheidung fest und wies den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 7. Mai 2021 in Form einer EGVP-Nachricht Klage erhoben. Am 10. Januar 2022 hat der Kläger sich handschriftlich und mit handschriftlicher Unterschrift in einem Schriftsatz geäußert. In diesem Schriftsatz hat er bestimmte Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden.

Der Kläger bezieht sich zur Klagebegründung auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Atteste.

Er beantragt schriftlich und sinngemäß,

die Bescheide der Beklagten vom 3. Juni 2020 und vom 14. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. April 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer subkutanen Mastektomie beidseits zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt schriftlich,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Befundberichte bei den Ärzten Dr. M., Prof. Dr. H. und Prof. Dr. E. eingeholt. Nach einem Dezernatswechsel hat das Gericht am 14. November 2022 auf die Unzulässigkeit der Klageerhebung in Form einer EGVP-Nachricht hingewiesen.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2022 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht, durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen, angehört.

Wegen des Inhalts der eingeholten Befundberichte und zur Ergänzung des Tatbestands wird...

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