Leitsatz (amtlich)

Bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung muss die Gesetzliche Krankenkasse unter Umständen auch die Kosten einer neuartigen Behandlung in den USA übernehmen (§ 18 Abs. 1 S. 1 SGB V). Dies gilt auch dann, wenn über die Behandlung noch keine Studien vorliegen, aber alle behandelnden und mit dem Verfahren gutachterlich befassten Ärzte übereinstimmend davon ausgehen, dass die neue Behandlungsmethode alternativlos ist (§ 2 Abs. 1a SGB V).

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 01. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2017 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, die Kosten der Behandlung des Klägers im CHOP in Philadelphia einschließlich der Kosten der Begleitperson endgültig zu übernehmen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

 

Tatbestand

Es wird darum gestritten, ob die Beklagte die Kosten für die Behandlung der beim seinerzeit 17-jährigen Kläger bestehenden Bronchitis fibroplastica im Children___AMPX_’_SEMIKOLONX___Xs Hospital of Philadelphia (CHOP), USA, endgültig tragen muss (Kosten in Höhe von 299,199,61 €).

Der Kläger wurde im März 2000 mit einem schweren Herzfehler geboren. In seiner ersten Lebenswoche erfolgte eine Herzkatheterintervention und nachfolgend eine Herzoperation. In den Folgejahren wurden weitere Interventionen und Herzoperationen durchgeführt. Im weiteren Verlauf bildete sich - zusätzlich, als Folgeerkrankung - eine Bronchitis fibroplastica (auch bezeichnet als Plastic Bronchitis) mit akut einsetzendem Husten und Atemnot sowie Abfall der Sauerstoffsättigung aufgrund von sich laufend neubildenden Eiweißklumpen (sog. Casts). Nach einer Studie aus dem Jahre 2014 versterben innerhalb von fünf Jahren nach Diagnose 50% der an dieser Erkrankung leidenden Patienten oder benötigten eine Herztransplantation (Schumacher et al. J Am Heart Assoc. 2014, zitiert in der Ärztlichen Stellungnahme von PD Dr. ASW. und PD Dr. F... vom 24.4.2018).

Im Jahr 2016 stellten Dr. Yoav Dori (CHOP) u.a. in der Zeitschrift Circulation eine neue Methode zur Behandlung der Bronchitis fibroplastica vor (Percentuaneous Lymphatic Embolization of Abnormal Pulmonary Lymphatic Flow as Treatment of Plastic Bronchitis in Patients With Congenital Heart Disease, Circulation 2016, 1160 - 1170). Bei der Behandlung werden die in die Lunge führenden Lymphgänge verschlossen, was zu einer Verhinderung der Casts führen soll. In der veröffentlichten Studie wird über die erfolgreiche Behandlung von 18 Patienten berichtet.

Mit Schreiben vom 25.4.2017 beantragten die Eltern des Klägers die Kostenübernahme für eine Behandlung in Philadelphia. Sie fügten ein Schreiben von PD Dr. F... und Prof. AER. vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK SH) vom 12.4.2017 bei, in dem hervorgehoben wird, dass es sich bei der im CHOP in Philadelphia durchgeführten Methode um eine aufwändige Therapie handele, die an keinem anderen Ort weltweit durchgeführt werde und die nach den vorliegenden Publikationen Heilung verspreche. Trotz aller Bemühungen einschließlich erfolgter Operation im Jahr 2002 sei es zu keiner Besserung des Krankheitsbildes gekommen. Der Kläger leide weiterhin unter lebensbedrohlichen Erstickungsanfällen, die durch die Casts hervorgerufen würden. Im Alltag komme es fast täglich zu solchen Episoden, die einen regelhaften Schulbesuch nur äußerst eingeschränkt ermöglichten. Mit einer Besserung oder Spontanheilung sei nicht zu rechnen. Die neue Behandlung werde nur im CHOP durchgeführt. Die Behandlungsunterlagen seien im CHOP vorgestellt worden und bei einer Telefonkonferenz mit den dortigen Kollegen diskutiert worden; dabei hätten die Ärzte des CHOP den Kläger für eine Behandlung akzeptiert. Dem Antrag war außerdem ein Entlassbrief von Prof. AER., PD Dr. F..., Dr. von G…, UK SH, vom 4.11.2016 wegen einer Behandlung vom 3.5.11.2016 beigefügt, die der Kläger durchgeführt hatte, um eine mögliche Behandlung abzuklären. Die Eltern fügten außerdem - neben der Publikation in Circulation - ein Schreiben des CHOP vom 4.5.2017 bei, wonach die dortige Klinik den Antragsteller aufnehmen und behandeln würde. Die Beklagte holte eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 15.5.2017 (Fachärztin für Herzchirurgie Dr. M...) ein. Nach dem Gutachten bewirken die erfolgten konservativen Behandlungen des Klägers kein Aufhalten der Verschlimmerung der klinischen Symptomatik. Chirurgische Optionen stünden nicht zur Verfügung; bei weiterer Verschlechterung stünde nur die Option einer Herz-Lungen-Transplantation zur AYC.. Die von Dr. Dori entwickelte, derzeit einzigartige Methode erscheine zur Verbesserung der Beschwerdesymptomatik nach den publizierten Studienergebnissen “geeignet". Das Verfahren werde nicht in anderen Kliniken angeboten. Aufgrund der inzwischen erreichten Schwere der Erkrankung sowie wegen der Ausschöpfung sämtlicher alternativer Behandlungsmöglichkeiten sei der Therapieansatz beim Kläger daher “indiziert".

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