Entscheidungsstichwort (Thema)

Befreiung eines zugelassenen, für eine Aktiengesellschaft als Angestellter tätigen Rechtsanwalts von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung

 

Orientierungssatz

1. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 werden unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag Angestellte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, von der Rentenversicherungspflicht befreit. Hierzu zählt ein zugelassener Rechtsanwalt, der für eine Aktiengesellschaft als Angestellter tätig ist.

2. Dem Rentenversicherungsträger ist es verwehrt, an das Vorliegen der Befreiung i. S. des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 weitere Anforderungen zu stellen, als dies in dieser Vorschrift ausdrücklich normiert ist. Infolgedessen ist der Rentenversicherungsträger daran gehindert, für eine Befreiung des Rechtsanwalts von der Versicherungspflicht eine rechtsberatende, rechtsentscheidende, rechtsanwendende oder rechtsvermittelnde Tätigkeit als zusätzlich erforderliche Kriterien zu verlangen.

3. Die Befreiungsvorschrift des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 greift auch zugunsten der Tätigkeit als Angestellter eines nichtanwaltlichen Arbeitgebers ein, wenn berufsspezifische Tätigkeiten ausgeübt werden.

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Juli 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2009 verurteilt, die Klägerin ab dem 1. Mai 2009 von der Versicherungspflicht zu befreien.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zusteht.

Die Klägerin ist Volljuristin. Sie war seit dem 01.05.2003 zunächst als selbstständige Rechtsanwältin und anschließend als angestellte Rechtsanwältin bei der P. AG und der Q. GmbH tätig. Sie war seit dem 20.08.2003 Mitglied der Rechtsanwaltskammer Celle und seit dem 28.08.2003 Pflichtmitglied im Niedersächsischen Versorgungswerk der Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen (Beigeladener zu 1). Mit Bescheid vom 20.02.2004 erteilte die Beklagte auf Antrag der Klägerin die Befreiung von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung. Ab Beginn der Befreiung entrichtete die Klägerin einkommensbezogene Pflichtbeiträge an den Beigeladenen zu 1.

Am 01.05.2009 begann die Klägerin eine Tätigkeit bei der O. AG in Friedrichshafen als Referentin "Arbeitsrecht und Grundsatzfragen". In der Stellen- und Funktionsbeschreibung wird u. a. angeführt, dass die Klägerin selbständig und eigenverantwortlich die O. AG in individual- und kollektivarbeitsrechtlichen Fragestellungen berate. Sie erstelle Gutachten und Stellungnahmen zu konkreten und abstrakten rechtlichen Fragestellungen. Weiterhin führe sie die Korrespondenz mit Behörden und Institutionen, vertrete das Unternehmen vor den Arbeitsgerichten, fertige Schriftsätze und stelle Anträge. Alle Funktionen und Tätigkeiten nehme sie nach Abstimmung mit dem jeweiligen Fachbereich und dem Fachvorgesetzten selbständig und eigenverantwortlich wahr. Die O. AG stellte eine Einverständnis- und Freistellungserklärung aus. Danach erklärte sie, dass die Klägerin neben der Tätigkeit als Angestellte den Beruf als Rechtsanwältin ausüben könne. Die Klägerin könne sich auch während der Arbeitszeit zur Wahrnehmung etwaiger anwaltlicher Termine jederzeit von ihrem Dienstplatz entfernen. Sie sei nicht gehalten, Belegschaftsmitglieder oder Dritte zu beraten oder vertreten.

Am 26.05.2009 beantragte die Klägerin für diese Tätigkeit die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. In dem Antrag erklärte die O. AG als Arbeitgeber, dass die Klägerin in dem Unternehmen als Rechtsanwältin tätig sei. Mit Schreiben vom 03.06.2009 teilte die Rechtsanwaltskammer Celle mit, dass diese Tätigkeit mit dem Beruf als Rechtsanwältin vereinbar sei. Mit Bescheid vom 06.07.2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die Klägerin nicht anwaltlich beschäftigt sei. Sie nehme das Aufgabenfeld der Rechtsentscheidung nicht wahr. Dagegen erhob die Klägerin am 06.08.2009 Widerspruch und legte eine Generalterminsvollmacht vor. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2009 zurück und führte zur Begründung aus, die Klägerin sei nicht rechtsentscheidend tätig, weil sie ihre Tätigkeiten nur nach Abstimmung mit dem jeweiligen Fachbereich und Fachvorgesetzten wahrnehme.

Die Klägerin hat am 15.01.2010 Klage erhoben. Sie trägt vor, der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit nach Abstimmung ausübe, stehe einer rechtsentscheidenden Tätigkeit nicht entgegen. Eine Abstimmung über Ziele, Chancen und Risiken einer rechtlichen Auseinandersetzung sei natürlicher Bestandteil eines jeden Mandats. Jeder Rechtsanwalt sei bei s...

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