Rz. 46

Die Regelung von Art. 166 ZGB über die Vertretung der ehelichen Gemeinschaft steht im Zusammenhang mit Art. 163 ZGB, wonach beide Ehegatten die Verantwortung für den Unterhalt der Familie tragen. Dies setzt voraus, dass beide Ehegatten unabhängig von ihrer individuellen Finanzkraft und der konkreten Aufgabenteilung zum selbstständigen Abschluss der zur Deckung des Unterhalts erforderlichen Rechtsgeschäfte befugt sind.[74] Gemäß Art. 166 Abs. 1 ZGB vertritt während des Zusammenlebens jeder Ehegatte die eheliche Gemeinschaft für die laufenden Bedürfnisse der Familie. Diese ordentliche Vertretungsbefugnis gilt für im Zusammenhang mit der häuslichen Gemeinschaft stehende Rechtsgeschäfte der alltäglichen Bedarfsdeckung. Dazu gehören etwa typische Haushaltskäufe, der Abschluss von Arzt- und Spitalverträgen für übliche Behandlungen oder Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit der Freizeitgestaltung, nicht aber der Abschluss eines Mietvertrages über eine Wohnung oder der Kauf teurer Möbel. Der Umfang der laufenden Bedürfnisse kann nicht generell-abstrakt definiert werden, sondern ist immer mit Blick auf die Verhältnisse der konkreten Familie festzulegen.[75] Für die übrigen Bedürfnisse der Familie besteht gem. Art. 166 Abs. 2 ZGB eine außerordentliche Vertretungsbefugnis unter der Voraussetzung einer Ermächtigung durch den anderen Ehegatten oder das Gericht. Ohne eine solche Ermächtigung ist eine Vertretung nur zulässig, wenn kumulativ zeitliche Dringlichkeit und Unmöglichkeit der Zustimmungseinholung (z.B. infolge Krankheit oder Abwesenheit des anderen Ehegatten) gegeben sind.

 

Rz. 47

Die Wirkung der Vertretung besteht nicht etwa darin, dass die eheliche Gemeinschaft verpflichtet würde – was die Marginalie des Art. 166 ZGB untechnisch zum Ausdruck bringt, aber angesichts der fehlenden Rechtspersönlichkeit der ehelichen Gemeinschaft[76] von vornherein außer Betracht fällt –, sondern vielmehr in der solidarischen Verpflichtung des anderen Ehegatten (Art. 166 Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 143 ff. OR). Die Haftung jedes Ehegatten geht aufs Ganze, bis die Schuld vollständig getilgt ist, und es steht dem Gläubiger frei, ob er nur einen oder beide Ehegatten belangt und ob er im letzteren Fall von jedem einen Teil oder das Ganze fordert. Die Solidarhaftung tritt unabhängig davon ein, ob der Ehegatte im Rahmen der ordentlichen oder der außerordentlichen Vertretungsbefugnis gehandelt hat. Unerheblich ist auch, ob der Dritte überhaupt wusste, dass sein Geschäftspartner verheiratet ist.[77]

 

Rz. 48

Überschreitet der handelnde Ehegatte seine Vertretungsbefugnis, sind die Rechtsfolgen davon abhängig, ob der Vertragspartner sich auf seinen guten Glauben gem. Art. 3 Abs. 2 ZGB berufen kann. Erkannte der Vertragspartner die Überschreitung nicht und hätte er sie bei der im Geschäftsverkehr gebotenen Aufmerksamkeit auch nicht zu kennen brauchen, werden beide Ehegatten solidarisch verpflichtet. Vertretungswirkungen können somit trotz fehlender Vertretungsbefugnis eintreten. Die Frage der Gutgläubigkeit ist in der Praxis in erster Linie für die Abgrenzung der laufenden von den übrigen Bedürfnissen relevant. Der Dritte darf dabei auf die von den Ehegatten zur Schau getragene Lebensführung abstellen.[78] Im internen Verhältnis ist gestützt auf die von den Ehegatten gewählte Aufgabenteilung (Art. 163 ZGB) zu entscheiden, wer die Schuld letztlich tragen muss.[79]

[74] Zum Verhältnis zwischen Art. 163 und 166 ZGB siehe Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar zu Art. 159–180, Bd. II, Art. 166 ZGB Rn 38.
[75] Zum Ganzen Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar zu Art. 159–180, Bd. II, Art. 166 ZGB Rn 49 ff.
[76] Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar zu Art. 159–180, Bd. II, Art. 159 ZGB Rn 13.
[77] Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar zu Art. 159–180, Bd. II, Art. 166 ZGB Rn 87.
[78] Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar zu Art. 159–180, Bd. II, Art. 166 ZGB Rn 91 m.w.H.
[79] Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar zu Art. 159–180, Bd. II, Art. 166 ZGB Rn 103 ff., m.w.H.

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