Rz. 112

Pflichtteilsgeschützt sind nicht sämtliche gesetzlichen Erben, sondern nur die Nachkommen des Erblassers, seine Eltern und der überlebende Ehegatte bzw. der überlebende eingetragene Partner (Art. 470 Abs. 1 ZGB). Der Pflichtteil berechnet sich als Bruchteil des jeweiligen gesetzlichen Erbanspruchs: Er beträgt für Nachkommen drei Viertel,[169] für Vater und Mutter je die Hälfte und für den überlebenden Ehegatten bzw. den überlebenden eingetragenen Partner ebenfalls die Hälfte (Art. 471 ZGB).[170]

 

Rz. 113

Der Pflichtteil der Nachkommen umfasst drei Viertel der Pflichtteilsberechnungsmasse (Art. 474 ff. ZGB),[171] wenn sie nicht mit dem überlebenden Ehegatten bzw. dem überlebenden eingetragenen Partner teilen müssen; andernfalls beträgt er drei Achtel.[172] Für den überlebenden Ehegatten bzw. den überlebenden eingetragenen Partner, der weder zu Nachkommen noch zu Erben der zweiten Parentel in Konkurrenz steht, macht der Pflichtteil die Hälfte der Pflichtteilsberechnungsmasse aus. Sind Nachkommen vorhanden, beträgt der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten bzw. des überlebenden eingetragenen Partners einen Viertel, während er sich bei einer Teilung mit Erben des elterlichen Stammes auf drei Achtel der Berechnungsmasse beläuft.[173] Letztere sind in diesem Fall im Umfang von je einem Sechzehntel pflichtteilsgeschützt. Ist kein überlebender Ehegatte oder überlebender eingetragener Partner vorhanden, beträgt der Pflichtteil jedes Elternteils einen Viertel der Berechnungsmasse.[174]

 

Rz. 114

Während die Summe der Pflichtteile die gebundene Nachlassquote bildet, versteht sich die verfügbare Quote – der Freiteil – als Differenz zwischen sämtlichen Pflichtteilen und dem Gesamtnachlass. Dabei handelt es sich allerdings nur um einen abstrakten Prozentsatz, der erst nach der Bestimmung der Berechnungsmaße konkrete Gestalt annimmt.[175]

 

Rz. 115

Art. 473 ZGB erlaubt eine besondere Begünstigung des überlebenden Ehegatten, indem diesem anstelle des gesetzlichen Erbrechts die Nutznießung am ganzen Nachlass eingeräumt werden kann. Diese Möglichkeit besteht allerdings nur, wenn der überlebende Ehegatte mit gemeinsamen Nachkommen teilen muss. Anderen Miterben, insbesondere nicht gemeinsamen Kindern, ist ein solcher Eingriff in ihren Pflichtteil nicht zuzumuten.[176] Darüber hinaus kann der Erblasser dem überlebenden Ehegatten die daneben bestehende verfügbare Quote von einem Viertel zu Eigentum zuweisen (Art. 473 Abs. 2 ZGB).[177]

[169] Bei zwei Kindern beläuft sich der Pflichtteil auf drei Achtel je Kind, bei drei Kindern auf ein Viertel je Kind.
[170] Am 29.8.2018 hat der Bundesrat die Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erbrecht) veröffentlicht (BBl 2018 5813 ff.; https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2018/5813.pdf). Zentrales Anliegen der Revision ist die Erhöhung der Verfügungsfreiheit des Erblassers durch Verkleinerung der Pflichtteile (BBl 2018 5814). Der Bundesrat schlägt deshalb eine Reduktion des Nachkommenpflichtteils von heute drei Viertel auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils vor (Art. 471 E ZGB). Der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten bzw. eingetragenen Partners beträgt unverändert die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs. Der Elternpflichtteil soll aufgehoben werden (vgl. Art. 470 E ZGB). Im Weiteren will die Revisionsvorlage namentlich verschiedene heute umstrittene Punkte klären und zur Vermeidung stoßender Fälle einen "Unterstützungsanspruch" des faktischen Lebenspartners statuieren. Vgl. die Zusammenfassung des Inhalts der Vorlage in BBl 2018, 5814.

Weiter hat der Bundesrat am 10.4.2019 das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beauftragt, zum Vorentwurf zur Änderung des Zivilgesetzbuchs (Unternehmensnachfolge) ein Vernehmlassungsverfahren zu eröffnen. Die Revisionsvorlage zielt darauf ab, die Übertragung der Inhaberschaft an einem Unternehmen durch Erbfolge zu erleichtern. Vgl. zu Vorentwurf und begleitendem Erläuternden Bericht https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/aktuell/news/2019/ref_2019–04–10.html.

[171] Dazu näher Rdn 114 sogleich mit Fn 175.
[175] Art. 474 ff. ZGB. Auszugehen ist vom Stand des Vermögens beim Tod des Erblassers; davon sind die Passiven abzuziehen und die Zuwendungen unter Lebenden – soweit sie der Herabsetzungsklage oder (über den Gesetzeswortlaut hinaus) der Ausgleichung unterstehen – hinzuzurechnen. Dazu eingehend Tuor/Schnyder/Schmid/Rumo-Jungo, § 69 Rn 15 ff.; Wolf/Genna, SPR IV/1, S. 453 ff.; Wolf/Hrubesch-Millauer, Rn 1033 ff.; je m.w.N.
[176] Im Falle der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten entfällt deshalb die Nutznießung auf jenem Teil der Erbschaft, der im Zeitpunkt des Erbganges nach den ordentlichen Bestimmungen über den Pflichtteil der Nachkommen nicht hätte mit der Nutznießung belastet werden können (Art. 473 Abs. 3 ZGB).
[177] Mit dieser am 1.3.2002 in Kraft getretenen Revi...

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