1. Überblick

 

Rz. 77

Ist der Anwalt nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen und wohnt er auch nicht am Ort des Prozessgerichts, richtet sich die Kostenerstattung nach § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO: Die Reisekosten dieses Anwalts sind nur insoweit erstattungsfähig, als die Zuziehung des Anwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.

 

Rz. 78

Im Hinblick auf den zwischenzeitlich aufgehobenen § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO a.F. war in der Rechtsprechung äußerst umstritten, wann und inwieweit Kosten eines auswärtigen Rechtsanwalts erstattungsfähig waren. Zu dieser Frage ist zwischenzeitlich eine kaum noch überschaubare Rechtsprechung des BGH ergangen.

2. Grundsatz

 

Rz. 79

In seiner Entscheidung vom 16.10.2002[75] hat der BGH grundsätzlich Folgendes klargestellt:

Für einen Rechtsstreit vor einem auswärtigen Gericht darf sich eine Partei grundsätzlich immer eines Anwalts am eigenen Ort bedienen. Die hierdurch anfallenden Reisekosten des Anwalts zum auswärtigen Gericht sind grundsätzlich erstattungsfähig.[76] Das gilt selbst dann, wenn der sachbearbeitende Rechtsanwalt einer überörtlichen Anwaltssozietät angehört, die auch am Sitz des Prozessgerichts mit dort postulationsfähigen Rechtsanwälten vertreten ist.[77]

 

Rz. 80

Bei der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme ist eine typisierende Betrachtungsweise geboten. Deshalb bedarf es für die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten nicht der Feststellung im Einzelfall, dass die Partei zu dem den Termin wahrnehmenden Rechtsanwalt ein besonderes Vertrauensverhältnis gehabt hat.[78]

 

Rz. 81

Die Reisekosten des auswärtigen Anwalts der auswärtigen Partei sind selbst dann erstattungsfähig, wenn der Gegenstand des Rechtsstreits einen Bezug zum Ort des Gerichts hat. So rechtfertigt allein der Umstand, dass sich das dem Rechtsstreit zugrundeliegende Mietobjekt am Sitz des Prozessgerichts gelegen ist und sich der klagende Eigentümer deshalb gelegentlich zu dessen Verwaltung dort aufhält, nicht, von ihm zu verlangen, einen Prozessbevollmächtigten am Ort des Gerichts zu beauftragen.[79]

 

Rz. 82

Diese Grundsätze gelten nicht nur in erster Instanz, sondern auch in einem Berufungsverfahren.[80]

[75] BGH 16.10.2002 – VII ZB 30/02, AGS 2003, 97 m. Anm. Madert = BGH-Report 2003, 152 m. Anm. Madert; ebenso OLG Düsseldorf AGS 2003, 325; OLG Düsseldorf AGS 2003, 372; OLG Düsseldorf AGS 2003, 466.
[78] BGH 28.1.2010 – III ZB 64/09, RVGreport 2010, 156 = JurBüro 2010, 369.
[79] BGH 18.2.2004 – XII ZB 182/03, RVGreport 2004, 193 = NJW-RR 2004, 1216.
[80] BGH 6.5.2004 – I ZB 27/03, AGS 2004, 310 = BGH-Report 2004, 1325.

3. Kein Vergleich mit Kosten eines Terminsvertreters oder Verkehrsanwalts

 

Rz. 83

Greift der vorgenannte Grundsatz, sind die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten auch dann in voller Höhe erstattungsfähig, wenn die Kosten bei Einschaltung eines Terminsvertreters (VV 3401) oder eines Verkehrsanwalts (VV 3400) günstiger gewesen wären und die Partei dies hätte erkennen können. Die Kostenerstattung wird dann nicht auf diejenigen Kosten beschränkt, die durch die Beauftragung eines Terminsvertreters entstanden wären.[81] Insoweit greift auch nicht die 10 %-Grenze, die beim Terminsvertreter gilt.[82] Soweit man der Partei die Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts zubilligt, ist hinsichtlich der Höhe keine Grenze gesetzt.

[81] BGH 13.9.2005 – X ZB 30/04, RVGreport 2005, 476 = NJW-RR 2005, 1662; BGH 11.12.2007 – X ZB 21/07, AGS 2008, 204 = RVGreport 2008, 112 = NJW-RR 2008, 1378.
[82] BGH 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, AGS 2003, 97 = NJW 2003, 898; BGH 14.9.2004 – VI ZB 37/04, AGS 2005, 41 = RVGreport 2004, 473 = NJW-RR 2005, 707.

4. Ausnahmen

 

Rz. 84

Von diesem Grundsatz der Erstattungsfähigkeit gibt es Ausnahmen. So wird die Erstattungsfähigkeit insbesondere dann abgelehnt, wenn die Partei geschäftsgewandt ist und sie problemlos einen Anwalt am Gerichtsort schriftlich oder fernmündlich hätte beauftragen können.[83] Bei Privatpersonen wird dies grundsätzlich nicht der Fall sein. Diese Ausnahme betrifft vielmehr Unternehmen, insbesondere mit eigenen Rechtsabteilungen. Auch hier ist der BGH allerdings zurückhaltend, was die Ablehnung eines Anwalts am Ort oder Sitz der Partei oder deren Verwaltung angeht. Grundsätzlich ist auch sie berechtigt, einen an ihrem Ort oder Sitz oder sogar am Ort einer ausgelagerten Verwaltung niedergelassenen Anwalt zu beauftragen und diesen zum Termin reisen zu lassen. Insoweit kommt es entscheidend auf die Art des Verfahrens an, also ob besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten bestehen oder ob es sich um einen Routine- oder Bagatellfall handelt.

 

Rz. 85

Bejaht hat der BGH die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten in folgenden Fällen:

 

Rz. 86

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