Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beauftragung eines am Geschäftssitz der Partei ansässigen Rechtsanwalts zur Prozessführung vor einem auswärtigen Gericht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Kosten der Beauftragung eines am Geschäftssitz der Partei ansässigen Rechtsanwalts zur Führung eines Prozesses an einem auswärtigen Gericht dienen i.d.R. der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und sind damit erstattungsfähig.

2. Ausnahmen können bestehen, wenn es sich bei der Partei um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das über eine eigene Rechtsabteilung verfügt bzw. bei einem in tatsächlicher Hinsicht überschaubaren Rechtsstreit über eine Geldforderung, bei dem die Gegenseite versichert hat, dass sie nicht leistungsfähig sei und gegen die Klage keine Einwendungen erheben werde.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2, S. 2

 

Verfahrensgang

Saarländisches OLG (Beschluss vom 25.03.2002)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Saarländischen OLG v. 25.3.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 104,38 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Parteien haben über Restwerklohnansprüche der in T. (Nordrhein-Westfalen) ansässigen Klägerin gestritten. Nach Beantragung und Erlass eines Mahnbescheides durch die am Geschäftssitz der Klägerin ansässigen Prozessbevollmächtigten und Widerspruch durch die in W.-N. (Saarland) ansässige Beklagte wurde die Sache an das LG S. abgegeben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LG v. 13.3.2001 wurde die Klägerin von ihren Prozessbevollmächtigten aus T. vertreten.

Die Kostengrundentscheidung des LG lautet:

Die Kosten des Rechtsstreits tragen, soweit nicht mit Vollstreckungsbescheid des AG E. v. 17.7.2000 bereits darüber entschieden worden ist, die Klägerin zu 1/4, die Beklagte zu 3/4.

Die Klägerin hat zur Kostenausgleichung Fahrtkosten ihres Prozessbevollmächtigten i. H. v. 262,20 DM und Abwesenheitsgeld i. H. v. 60 DM angemeldet. Die Rechtspflegerin des LG hat hiervon lediglich eine Informationspauschale i. H. v. 50 DM berücksichtigt.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin die Festsetzung der abgesetzten Gebühren ihrer Prozessbevollmächtigten weiter.

II.

1. Nach Ansicht des OLG sind die geltendgemachten Reise - und Abwesenheitskosten nicht zu erstatten, da es der Klägerin zuzumuten gewesen sei, unmittelbar einen Rechtsanwalt am Sitz des Gerichts zu beauftragen und diesen schriftlich oder telefonisch zu informieren.

a) Die Neufassung des § 78 ZPO habe nicht dazu geführt, dass Reisekosten und Abwesenheitsgeld eines nicht am Prozessgericht zugelassenen, aber dort postulationsfähigen Rechtsanwalts grundsätzlich zu erstatten seien. Nach § 91 Abs. 2. S. 2 ZPO seien die durch die Beauftragung eines nicht am Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts entstehenden Mehrkosten nur insoweit erstattungsfähig, als sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig seien. Im vorliegenden Fall scheide auch die Erstattung der Reisekosten bis zur Höhe einer fiktiven Informationsreise aus, da der Klägerin die Information eines beim Prozessgericht ansässigen Anwalts durch Mittel der Telekommunikation ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen sei. Die Klägerin sei ein vollkaufmännisches Unternehmen. Der Prozess habe eine unternehmensbezogene Rechtstreitigkeit ohne besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art zum Gegenstand gehabt. Die ersparten Kosten für die schriftliche oder telefonische Information eines Prozessbevollmächtigten in S. seien mit einer Pauschale von 50 DM angemessen abgegolten.

b) Die Kosten seien auch nicht deswegen erstattungsfähig, weil die Anwälte der Klägerin bereits im vorausgegangenen Mahnverfahren tätig gewesen seien. Denn die bei einem Wechsel des Prozessbevollmächtigten nach Widerspruch gegen einen Mahnbescheid entstehenden Mehrkosten seien nur erstattungsfähig, wenn der Gläubiger nicht mit der Einlegung eines Widerspruchs habe rechnen müssen. Das sei der Fall, wenn der Beantragung des Mahnbescheides ein positives Anerkenntnisverhalten des Schuldners vorausgehe. Allein das Schweigen des Schuldners reiche nicht aus. Die dadurch begründete Ungewissheit gehe zu Lasten des Gläubigers.

2. Das hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Das OLG überspannt die Anforderungen an die Erstattung der Kosten durch die Beauftragung eines nicht am Prozessgericht zugelassenen, dort aber postulationsfähigen Rechtsanwalts.

a) Die Erstattungsfähigkeit der durch die Tätigkeit eines am Geschäftssitz der Partei und nicht am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts entstandenen Mehrkosten hängt davon ab, ob es für die Partei notwendig war, einen an ihrem Geschäftssitz ansässigen Rechtsanwalt zu beauftragen (§ 91 Abs. 2 S. 1, Halbs. 2 ZPO). Im Allgemeinen handelt es sich um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, wenn eine vor einem auswärtigen Gericht klagende Partei wie die Klägerin einen an ihrem Geschäftssitz ansässigen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt (BGH, Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 [2028]; Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900 f.]).

§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO steht dem nicht entgegen, da die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf den beim Prozessgericht nicht zugelassenen Anwalt nicht gerechtfertigt ist. Die Erstattung der Reisekosten des beim Prozessgericht nicht zugelassenen und dort auch nicht ansässigen Anwalts regelt vielmehr § 91 Abs. 2 S. 1, Halbs. 2 ZPO (BGH, Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 [2028]; Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900 f.]).

b) Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Beauftragung eines am Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung ist, kommt in Betracht, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Das ist der Fall bei gewerblichen Unternehmen, die über eine eigene Rechtsabteilung verfügen, die die Sache bearbeitet hat (BGH, Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 [2028]; Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900 f.]). Eine weitere Ausnahme, bei der die unmittelbare Hinzuziehung eines Rechtsanwalts beim Prozessgericht zumutbar sein kann, ist bei einem in tatsächlicher Hinsicht überschaubaren Streit um eine Geldforderung denkbar, wenn die Gegenseite versichert hat, nicht leistungsfähig zu sein und gegenüber einer Klage keine Einwendungen zu erheben.

Hierzu hat das OLG keine Feststellungen getroffen. Allein dass es um eine unternehmensbezogene Rechtsstreitigkeit gegangen sei und die Sache ohne nach dem Akteninhalt erkennbare tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten gewesen sei, reicht hierfür nicht. Welche Schwierigkeiten die Führung eines Rechtsstreites aufwirft, ist für die rechtsunkundige Partei regelmäßig nicht vorhersehbar (BGH, Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = NJW 2003, 2027 [2028]; Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900 f.]).

Dafür, ob die Klägerin über eine Rechtsabteilung oder, wenn man insoweit einen geringeren Organisationsgrad ausreichen lassen will, wenigstens über Mitarbeiter verfügt, zu deren Aufgabengebiet das Bearbeiten von Rechtsfällen gehört und die die hierfür erforderliche Sachkunde aufweisen, liefert der vom OLG festgestellte Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Allein aus der gewerblichen Tätigkeit der Klägerin und ihrer Rechtsform ergibt sich das nicht. Mit dem Vorbringen der Klägerin in der sofortigen Beschwerde, sie sei ein kleinerer Betrieb und nicht darauf eingerichtet, fachmännische Korrespondenz mit Rechtsanwälten zu führen, hat sich das OLG nicht auseinander gesetzt.

c) Daraus, dass die Klägerin zunächst einen Mahnbescheid beantragt hat und das Verfahren erst nach dem Widerspruch des Beklagten an das Gericht des streitigen Verfahrens abgegeben wurde, ergibt sich nichts Anderes.

3. Der angefochtene Beschluss ist demzufolge aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen, damit es Feststellungen dazu treffen kann, ob die Klägerin einen an ihrem Geschäftssitz ansässigen Rechtsanwalt aus kostenrechtlicher Sicht beauftragen durfte oder ob einer der genannten Ausnahmefälle von dem Grundsatz, dass die Beauftragung eines am Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung ist, vorliegt. Im ersten Fall wird das OLG Feststellungen zu der Höhe der Reisekosten und des Abwesenheitsgeldes zu treffen haben. Das kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht nachgeholt werden (§ 577 Abs. 2 S. 4 ZPO i. V. m. § 559 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1117367

BGHR 2004, 639

NJOZ 2004, 972

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge