Leitsatz (amtlich)

Beauftragt eine vor einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei einen an ihrem Wohnsitz oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt mit der Vertretung im Berufungsverfahren, sind die dadurch entstehenden Reisekosten erstattungsfähig, wenn die Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich in zweiter Instanz nach denselben Grundsätzen wie in erster Instanz.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Beschluss vom 17.09.2003; Aktenzeichen 8 W 197/03)

LG Hamburg (Beschluss vom 12.05.2003)

 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Verfügungsbeklagten wird der Beschluss des OLG Hamburg, 8. Zivilsenat, v. 17.9.2003 insoweit aufgehoben, als die Festsetzung weiterer 526 EUR abgelehnt worden ist.

Auf die Beschwerde der Verfügungsbeklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluß des LG Hamburg v. 12.5.2003 dahingehend geändert, dass der Verfügungsbeklagten von der Verfügungsklägerin weitere 526 EUR zu erstatten sind.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

4. Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 526 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Verfügungsklägerin nahm die in Aschaffenburg ansässige Verfügungsbeklagte in einem wettbewerbsrechtlichen Streit vor dem LG und dem OLG in Hamburg auf Unterlassung einer Werbeaussage in Anspruch. In beiden Instanzen war die Verfügungsbeklagte durch in Aschaffenburg ansässige Rechtsanwälte vertreten. In den Verhandlungsterminen vor dem LG und vor dem OLG traten für die Verfügungsbeklagte Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in Hamburg auf.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Verfügungsbeklagte beantragt, auch die in zweiter Instanz zusätzlich durch die Einschaltung von Rechtsanwaltsbüros am Sitz der Verfügungsbeklagten und am Gerichtsort angefallenen Kosten bis zur Höhe fiktiver Reisekosten von 526 EUR der in Aschaffenburg ansässigen Hauptbevollmächtigten festzusetzen.

Das LG hat dem Antrag nicht entsprochen. Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Verfügungsbeklagte habe den in Hamburg ansässigen Rechtsanwälten in zweiter Instanz das Mandat auch alleine überlassen können. Diese seien bereits auf Grund ihrer Tätigkeit als Unterbevollmächtigte in der ersten Instanz mit der Sache vertraut gewesen, und in zweiter Instanz sei nur noch über die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts gestritten worden.

Hiergegen richtet sich die (zugelassene) Rechtsbeschwerde der Verfügungsbeklagten, mit der sie ihren Kostenfestsetzungsantrag hinsichtlich der Reisekosten i.H.v. 526 EUR weiterverfolgt.

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Die Erstattungsfähigkeit der in Streit befindlichen Kosten hängt davon ab, ob es für die Verfügungsbeklagte in zweiter Instanz notwendig war, einen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung zu beauftragen, der nicht am Ort des Prozessgerichts in Hamburg ansässig ist (§ 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO). Denn nur in diesem Fall kann die Verfügungsbeklagte von der Verfügungsklägerin die Erstattung der durch die zusätzliche Beauftragung des Rechtsanwalts am Gerichtsort ersparten Reisekosten ihres an ihrem Sitz in Aschaffenburg tätigen Prozessbevollmächtigten beanspruchen.

Im Allgemeinen handelt es sich um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung, wenn eine vor einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei einen an ihrem Wohnsitz oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt mit der Vertretung beauftragt (BGH, Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 18/03, BGHReport 2004, 637 = WRP 2004, 495 [496] - Auswärtiger Rechtsanwalt IV, m.w.N.). Eine Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt wird, wird in aller Regel einen Rechtsanwalt in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen, ihn ggf. zu beauftragen oder für eine sachgemäße Information des Rechtsanwalts zu sorgen. Kann diese sachgerechte Information nur in einem persönlichen mündlichen Gespräch erfolgen, so ist die Zuziehung eines nicht bei dem Prozessgericht zugelassenen, aber in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig (vgl. BGH, Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 21/03, BGHReport 2004, 635 = Rpfleger 2004, 316 = GRUR 2004, 447 - Auswärtiger Rechtsanwalt III).

Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für die Erste wie für die zweite Instanz. Zwar dient das Berufungsverfahren nach der Neufassung der Zivilprozessordnung abweichend von der bisherigen Funktion einer vollwertigen zweiten Tatsacheninstanz nunmehr in erster Linie der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung (vgl. BGH, Beschl. v. 28.5.2003 - XII ZB 165/02, MDR 2003, 1192 = BGHReport 2003, 968 = NJW 2003, 2531 [2532]). Das schließt aber nicht aus, dass die Partei auch in der Berufungsinstanz zu einer sachgerechten Information auf ein persönliches mündliches Gespräch mit ihrem Prozessbevollmächtigten angewiesen ist. Eine Ausnahme besteht allerdings, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Das ist u.a. regelmäßig dann der Fall, wenn es sich bei der fraglichen Partei um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (vgl. BGH, Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = GRUR 2003, 725 [726] = WRP 2003, 894 - Auswärtiger Rechtsanwalt II; Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 18/03, BGHReport 2004, 637 = WRP 2004, 495 [496] - Auswärtiger Rechtsanwalt IV). Dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt, hat die Verfügungsklägerin nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Das Berufungsgericht hat vielmehr die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten mit der Begründung versagt, die Hamburger Rechtsanwälte seien aus der ersten Instanz mit der Sache bereits vertraut gewesen und es sei in zweiter Instanz nur um die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts gestritten worden. Das rechtfertigt es jedoch nicht, die Reisekosten in zweiter Instanz als nicht erstattungsfähig anzusehen. Dass der Streit der Parteien sich auf rechtliche Fragen beschränken würde, stand erst nach der bereits erfolgten Beauftragung der in Aschaffenburg ansässigen Prozessbevollmächtigten zweiter Instanz durch die Verfügungsbeklagte mit der Vorlage der Berufungsbegründung fest. Danach bestand für die Verfügungsbeklagte keine Veranlassung, auf die Hinzuziehung der Prozessbevollmächtigten ihres Vertrauens an ihrem Sitz in Aschaffenburg zu verzichten, die sie bereits in erster Instanz mit der Prozessvertretung beauftragt hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1171388

BGHR 2004, 1325

FamRZ 2004, 1363

NJW-RR 2004, 1500

GRUR 2004, 886

JurBüro 2004, 548

ZAP 2004, 1030

MDR 2004, 1136

NZV 2004, 516

Rpfleger 2004, 587

VersR 2005, 997

WRP 2004, 1169

AGS 2004, 310

GuT 2004, 189

RENOpraxis 2005, 9

RVG-B 2005, 25

RVGreport 2004, 316

Mitt. 2004, 472

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