Leitsatz (amtlich)

Die Reisekosten eines an einem dritten Ort (weder Gerichtsort noch Wohn- oder Geschäftsort der Partei) ansässigen Prozessbevollmächtigten sind bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich gewesen wäre.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Hamburg (Beschluss vom 11.07.2003)

LG Hamburg

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Verfügungsbeklagten wird der Beschluss des Hanseatischen OLG Hamburg, 8. Zivilsenat, v. 11.7.2003 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 646,97 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die in Ulm ansässige Verfügungsbeklagte wurde von der Verfügungsklägerin vor dem LG Hamburg in einem Verfahren der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung einer Werbeaussage in Anspruch genommen. Das LG Hamburg hob die mit Beschluss v. 18.11.2002 erlassene einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten wieder auf. Der Verfügungsklägerin legte es die Kosten des Verfahrens auf.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Verfügungsbeklagte beantragt, u. a. auch die Kosten der Reise ihrer Stuttgarter Prozessbevollmächtigten zu dem Verhandlungstermin in Hamburg einschließlich eines Tage- und Abwesenheitsgeldes festzusetzen. Das LG hat dem Antrag insoweit nicht entsprochen und ausgeführt, dass die von der Verfügungsbeklagten beantragten Reisekosten ihres Rechtsanwalts nicht erstattungsfähig seien, da der Anwalt seine Kanzlei nicht am Sitz der Partei, sondern an einem dritten Ort habe. Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten ist ohne Erfolg geblieben. Das Beschwerdegericht hat es offen gelassen, ob der Verfügungsbeklagten als einem gewerblichen Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung nicht ohnehin die Zuziehung eines Rechtsanwalts am Prozessgericht zumutbar gewesen wäre. Die Reisekosten seien jedenfalls deshalb nicht zu erstatten, weil die Verfügungsbeklagte durch die Auswahl eines Rechtsanwalts, der weder am Wohn- oder Geschäftsort der Partei noch im Bezirk des Prozessgerichts, also an einem dritten Ort, ansässig sei, gezeigt habe, dass sie eines unmittelbaren Kontaktes zu ihrem Prozessbevollmächtigten nicht bedürfe. Daher komme auch die Erstattung fiktiver Reisekosten nicht in Betracht.

Hiergegen richtet sich die (zugelassene) Rechtsbeschwerde der Verfügungsbeklagten, mit der sie ihren Kostenfestsetzungsantrag hinsichtlich der Reisekosten und des Tage- und Abwesenheitsgeldes weiterverfolgt.

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

Die Erstattungsfähigkeit der im Streit befindlichen Reisekosten hängt davon ab, ob es für die Verfügungsbeklagte notwendig war, einen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung zu beauftragen, der nicht am Ort des Prozessgerichts in Hamburg ansässig ist (§ 91 Abs. 2 S. 1 Halbs. 2 ZPO). Hierzu sind weitere tatsächliche Feststellungen des Beschwerdegerichts erforderlich.

1. Die Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Reisekosten scheitert nicht schon daran, dass der Rechtsanwalt an einem dritten Ort residiert.

a) Eine Partei, die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt wird, wird in aller Regel einen Rechtsanwalt in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsorts aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen, ihn ggf. zu beauftragen und für eine sachgemäße Information des Rechtsanwalts zu sorgen. Kann diese sachgerechte Information nur in einem persönlichen mündlichen Gespräch erfolgen, so ist die Zuziehung eines nicht bei dem Prozessgericht zugelassenen, aber in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig (vgl. BGH, Beschl. v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 = NJW 2003, 898 [900]).

b) Im vorliegenden Fall hat die Verfügungsbeklagte keinen in der Nähe ihres Geschäftsorts ansässigen Prozessbevollmächtigten beauftragt. Die Reisekosten des an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalts sind gleichwohl bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung - was dem Regelfall entspricht - zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich gewesen wäre. Denn darf bei einem Streitfall eine vernünftige und kostenbewusste Partei den für sie einfacheren und nahe liegenden Weg wählen, einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten zu beauftragen, ist sie, soweit dessen Reisekosten nicht überschritten werden, nicht daran gehindert, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung einen an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalt ihres Vertrauens zu beauftragen. Die Partei, die die Mühen auf sich nimmt, einen nicht in ihrer Nähe ansässigen Rechtsanwalt ihres Vertrauens aufzusuchen, wird hierfür sachliche Gründe haben. Schutzwürdige Belange der gegnerischen Partei, nicht mit zusätzlichen Kosten belastet zu werden, werden wegen der Begrenzung der Kostenerstattung auf die Reisekosten des am Wohn- oder Geschäftsorts ansässigen Rechtsanwalts nicht betroffen.

2. Ob die Reisekosten des in Stuttgart ansässigen Prozessbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten im Streitfall gleichwohl nicht erstattungsfähig sind, bedarf jedoch weiterer tatsächlicher Feststellungen. Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei den Reisekosten eines Rechtsanwalts nicht um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des nicht am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts feststand, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein würde. Dies ist u. a. regelmäßig der Fall, wenn es sich bei der Partei um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (vgl. BGH, Beschl. v. 10.4.2003 - I ZB 36/02, BGHReport 2003, 768 = MDR 2003, 1019 = GRUR 2003, 725 [726] = WRP 2003, 894 - Auswärtiger Rechtsanwalt II; Beschl. v. 9.10.2003 - VII ZB 45/02, BGHReport 2004, 70 = Umdr. S. 4 f. = m. w. N.). In diesen Fällen ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass der Rechtsstreit durch die sachkundigen Mitarbeiter der Rechtsabteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereitet und die Partei daher in der Lage sein wird, einen am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Prozessbevollmächtigten umfassend schriftlich zu instruieren.

Die Rechtsbeschwerde hat hierzu geltend gemacht, im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Verfügung seien Spezialfragen des Arzneimittelzulassungsrechts und der Arzneimittelsicherheit inzident streitentscheidend gewesen. Diese hätten eine persönliche Kontaktaufnahme erforderlich gemacht. Dazu hat das Beschwerdegericht von seinem Standpunkt folgerichtig keine Feststellungen getroffen. Diese wird es nachzuholen haben. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, die Frage selbst zu beurteilen, ob im Streitfall eine umfassende schriftliche Information nicht ausreichte, sondern ein eingehendes persönliches Mandantengespräch zwischen der Verfügungsbeklagten und ihrem Rechtsanwalt erforderlich war, obwohl die Verfügungsbeklagte rechtskundiges Personal beschäftigte. Denn der Senat ist von den in § 577 Abs. 2 S. 4, § 559 Abs. 1 S. 2 ZPO geregelten Verfahrensrügen abgesehen in der Beurteilung auf den vom Beschwerdegericht festgestellten Sachverhalt und den Inhalt der Sitzungsprotokolle beschränkt (§ 577 Abs. 2 S. 4, § 559 Abs. 1 S. 1 ZPO). Diesen lässt sich nichts dazu entnehmen, dass die Verfügungsbeklagte ihren Rechtsanwalt ausschließlich schriftlich unterrichten konnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1117343

BGHR 2004, 635

EBE/BGH 2004, 3

EWiR 2004, 461

GRUR 2004, 447

JurBüro 2004, 431

MDR 2004, 839

Rpfleger 2004, 316

VersR 2004, 1150

RVGreport 2004, 155

KammerForum 2004, 233

Mitt. 2004, 234

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