Rz. 32

In Rechtsprechung und Literatur war die Abgrenzung des Abgeltungsbereichs der Grundgebühr zur Verfahrensgebühr[24] umstritten.

 

Rz. 33

Nach einer Auffassung in der Kommentarliteratur[25] sollten sich die Abgeltungsbereiche von Verfahrensgebühr und Grundgebühr gegenseitig ausschließen. Beide Gebühren seien tatbestandlich voneinander abzugrenzen. Zunächst entstehe die Grundgebühr. Erst wenn deren Abgeltungsbereich beendet sei, beginne der Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr. Begründet wurde dies damit, dass die Grundgebühr anderenfalls keinen eigenen Abgeltungsbereich mehr hätte, da ja sämtliche Tätigkeiten, die zum Entstehen der Grundgebühr führen, zugleich auch die Verfahrensgebühr auslösen würden. Damit wäre die Grundgebühr keine "Garantie-" bzw. "Grundlagengebühr". Das aber gerade habe der Gesetzgeber gewollt. Die Grundgebühr solle einen eigenen Abgeltungsbereich haben, nämlich die Vergütung der ersten Akteneinsicht und der mit der Übernahme des Mandats zusammenhängenden Tätigkeiten.[26] Auch die Rechtsprechung hatte diese Auffassung bisher überwiegend vertreten.[27]

 

Rz. 34

Nach anderer Auffassung[28] (siehe Vorb. 4 Rdn 22) entstand schon immer für den Verteidiger, wenn er sich in den Fall einarbeitet, nicht nur die Grundgebühr, sondern zugleich auch die jeweilige Verfahrensgebühr. Begründet wurde dies damit, dass die Verfahrensgebühr nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes (VV Vorb. 4 Abs. 2) "für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information" entsteht. Nun ist es aber nicht möglich, sich in die Sache einzuarbeiten, ohne Informationen entgegenzunehmen und bereits die Verteidigung zu betreiben. Auch die Akteneinsicht gehört bereits zum Betreiben des Geschäfts. Eine Regelung, dass der Anwendungsbereich der Verfahrensgebühr in Strafsachen – im Gegensatz zu sonstigen Verfahren – später einsetzen soll oder dass die Grundgebühr für einen bestimmten Zeitraum, nämlich den der Einarbeitung, den Anfall der Verfahrensgebühr ausschließt, ist weder dem Gesetz noch seiner Begründung zu entnehmen.

 

Rz. 35

In der Praxis hatten die unterschiedlichen Auffassungen bislang durchaus Bedeutung. Kam es später zu weiteren Tätigkeiten über die Einarbeitung hinaus, wirkte sich die Streitfrage zwar in der Regel nicht aus, weil dann beide Gebühren entstanden waren und dem Verteidiger auch zugesprochen wurden. Wenn sich die Sache jedoch in der Vorbereitungsphase erledigte, war von vielen Gerichten nur eine isolierte Grundgebühr zugesprochen und darüber hinaus eine Verfahrensgebühr mit der Begründung abgelehnt worden, der Abgeltungsbereich der Grundgebühr sei noch nicht verlassen. Dabei waren Bestrebungen der Rechtsprechung zu erkennen, den Anwendungsbereich der Grundgebühr soweit wie möglich auszudehnen, um nicht bereits in dieser frühen Phase des Mandats auch bereits eine Verfahrensgebühr zusprechen zu müssen.

 

Rz. 36

Vom Gesetzgeber beabsichtigt war, dass Grund- und Verfahrensgebühr zeitgleich anfallen. Dies wird jetzt durch die hinzugesetzte Formulierung, wonach die Grundgebühr "neben der Verfahrensgebühr" anfällt, klargestellt. Die Auffassung, dass Grund- und Verfahrensgebühr voneinander abzugrenzen seien und die Verfahrensgebühr erst entstehen könne, wenn der Abgeltungsbereich der Grundgebühr beendet sei, kann danach nicht weiter aufrechterhalten werden.[29]

 

Rz. 37

Das Problem wird sich nach der neuen Gesetzeslage – wie auch zum Teil bisher – in die Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 verlagern. Soweit ein Mandat schon während der Einarbeitungsphase wieder beendet wird, wird man im Rahmen der Gebührenbemessung bei der Verfahrensgebühr nach § 14 Abs. 1 in der Regel von einem unterdurchschnittlichen Umfang ausgehen müssen. Auch wenn hier eine Abwägung aller Kriterien des § 14 Abs. 1 stattzufinden hat, muss damit gerechnet werden, dass die bisherige Gegenauffassung dazu übergeht, in dieser Phase nur die Mindestgebühr der Verfahrensgebühr zuzusprechen. Bei einem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Anwalt wird sich das Problem wegen der Festbeträge nicht stellen.

 

Beispiel: Der Anwalt wird mit der Verteidigung in einer Strafsache beauftragt und beantragt zunächst Akteneinsicht. Noch bevor der Anwalt die Akten zur Einsichtnahme erhält, wird das Mandat gekündigt.

Auch wenn sich das Mandat noch in der Einarbeitungsphase befindet, ist neben der Grundgebühr bereits die entsprechende Verfahrensgebühr nach VV Vorb. 4 Abs. 2 entstanden. Der geringe Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bei der Verfahrensgebühr kann hier allerdings im Rahmen des § 14 Abs. 1 zu berücksichtigen sein. Bei einer im unteren Bereich anzusetzenden Verfahrensgebühr (halbe Mittelgebühr) ergibt sich danach für den Wahlanwalt folgende Berechnung:

 
1. Grundgebühr, VV 4100   220,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104   90,75 EUR
3. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 330,75 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   62,84 EUR
Gesamt   393,59 EUR

Der Pflichtverteidiger würde erhalten:

 
1. Grundgebühr, VV 4100   176,00 EUR
2. Verfahrensgebühr,...

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