Rz. 538

Die Frage, ob die Einigungsgebühr nach VV 1000, die mit der Beseitigung eines Streits oder einer Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis entsteht, unter die erstattungsfähigen Kosten fällt, die in der oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung entstehen, wird kontrovers beantwortet. Die Lösung der Frage muss in mehreren Schritten erfolgen.

a) Gehört die Einigungsgebühr zu den Vollstreckungskosten?

aa) Vermeidung der Zwangsvollstreckung

 

Rz. 539

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine solche Einigung zu den "Kosten der Zwangsvollstreckung" gehört, wie dies der Wortlaut des § 788 Abs. 1 S. 1 ZPO erfordert. Da die Einigung gerade keine Maßnahme der Zwangsvollstreckung darstellt, sie diese auch nicht vorbereitet i.S.d. § 788 Abs. 1 S. 2 ZPO, sondern umgekehrt (weitere) Maßnahmen der Zwangsvollstreckung verhindern oder vermeiden soll, wird die Erstattungsmöglichkeit von vielen abgelehnt.[571]

 

Rz. 540

Die zutreffende Gegenansicht[572] vertritt den Standpunkt, der Begriff der Kosten der Zwangsvollstreckung sei weit auszulegen, sodass auch Kosten zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung darunter fielen. Dem ist aus Gründen der Sachnähe sowie der Prozesswirtschaftlichkeit (siehe Rdn 539 ff.) zuzustimmen.

 

Rz. 541

Dies zeigt auch eine Parallele zur Zahlungsaufforderung mit Zwangsvollstreckungsandrohung, mit der ebenfalls eine Zwangsvollstreckung vermieden werden soll.[573] Diese wird, jedenfalls wenn die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung erfüllt sind, als eine die Gebühr nach VV 3309 auslösende Tätigkeit in der Zwangsvollstreckung angesehen, die – wenn notwendig – auch zu erstatten ist. Diese Zahlungsaufforderung ist aber – wie die Einigung – weder Zwangsvollstreckungsmaßnahme im eigentlichen Sinn noch dient sie unmittelbar der Vorbereitung der Zwangsvollstreckung, weil sie keine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung darstellt. Der Gläubiger hätte unter denselben Voraussetzungen auch sofort einen Vollstreckungsauftrag erteilen können.

[571] OLG Frankfurt MDR 1973, 860; OLG Köln JurBüro 1979, 1642, 1644; OLG Koblenz DGVZ 1985, 168, 170; LG Bonn DGVZ 2006, 29 und 62; LG Münster JurBüro 2002, 664; AG Hanau DGVZ 2008, 186; AG Wiesbaden DGVZ 2007, 159; AG Berlin-Charlottenburg DGVZ 1998, 175; Kessel, DGVZ 2004, 179, 180 m.w.N.
[572] BGH 24.1.2006 – VII ZB 74/05, AGS 2006, 214 = RVGreport 2006, 196 = DGVZ 2006, 68; OLG Braunschweig DGVZ 2006, 113; OLG Zweibrücken JurBüro 1999, 80; KG Rpfleger 1981, 410; OLG Stuttgart JurBüro 1994, 739; LG Göttingen JurBüro 2005, 323 bei ausdrücklicher Übernahme durch den Schuldner; LG Tübingen DGVZ 2001, 119; LG Wiesbaden DGVZ 2000, 61; Zöller/Seibel, § 788 Rn 7; Mock, AGS 2004, 469, 474; MüKo/Karsten Schmidt, ZPO, § 788 Rn 15; HK-ZV/Kessel, § 788 ZPO Rn 83; Volpert, RVGprof. 2012, 46.
[573] Volpert, RVGprof. 2012, 46.

bb) Prozessökonomie

 

Rz. 542

Noch ein weiterer Grund spricht für die hier vertretene Auffassung. Der Anwalt erhält als Ausgleich für seine besonderen Bemühungen und als Belohnung dafür, dass die Inanspruchnahme staatlicher Vollstreckungsorgane vermieden wird (zur Frage der Anhängigkeit eines gerichtlichen Verfahrens i.S.v. VV 1003 vgl. Rdn 520 ff.), eine 1,5-Einigungsgebühr (VV 1000). Es wäre widersprüchlich, den Anwalt dann aber zur Geltendmachung dieser vom Schuldner übernommenen Gebühr auf die Inanspruchnahme des Gerichtes zu verweisen, wenn der Schuldner die Einigungsgebühr nicht freiwillig zahlt.[574]

 

Rz. 543

Kosten der Vermeidung der Vollstreckung sind bereits aus prozessökonomischen Gründen als Zwangsvollstreckungskosten i.S.v. § 788 Abs. 1 ZPO anzusehen.[575] Denn ansonsten müsste die Einigungsgebühr eingeklagt werden.[576] Zudem beruht § 788 Abs. 1 ZPO auf dem Veranlassungsprinzip. Die Kosten der Einigung hat der Schuldner jedenfalls dann veranlasst, wenn Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn ergriffen worden sind.[577]

[574] BGH 24.1.2006 – VII ZB 74/05, AGS 2006, 214 = RVGreport 2006, 196 = DGVZ 2006, 68.
[575] OLG Braunschweig DGVZ 2006, 113; Volpert, RVGprof. 2012, 46.
[576] BGH 24.1.2006 – VII ZB 74/05, AGS 2006, 214 = RVGreport 2006, 196 = DGVZ 2006, 68.
[577] BGH 24.1.2006 – VII ZB 74/05, AGS 2006, 214 = RVGreport 2006, 196 = DGVZ 2006, 68.

cc) Zeitpunkt der Einigung

 

Rz. 544

Der für § 788 ZPO notwendige Bezug zur Zwangsvollstreckung liegt nicht erst vor, wenn nach Erlass des vorläufig vollstreckbaren Urteils zwischen den Parteien eine Stundungsvereinbarung getroffen wird. Andererseits geht die Forderung, es müssten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses alle Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen vorliegen,[578] zu weit. Denn § 788 ZPO erfasst auch Vorbereitungskosten (vgl. Rdn 96 ff.). Es muss daher ausreichen, wenn nach einer Zahlungsaufforderung mit Vollstreckungsandrohung sich die Parteien zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung entsprechend einigen. Im Hinblick auf die restriktive Rechtsprechung sollte dies in den Text des Vertrages ausdrücklich mit aufgenommen werden.[579]

[578] OLG Bremen JurBüro 1986, 1203.
[579] Mayer/Kroiß/Gierl, RVG, VV 3310 Rn 21, 24; MüKo/Karsten Schmidt, ZPO, § 788 Rn 19, 24 "Zahlungsaufforderung", jew. m.w.N.

b) Notwendigkeit

 

Rz. 545

Erkennt man grundsätzlich die Einigungsgebühr als Kosten der Zwangsvoll...

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