1. Anrechnung der Gebühr

 

Rz. 100

Nach der alten Regelung in § 32 BRAGO war umstritten, ob die weitere Verfahrensgebühr nach § 32 Abs. 2 BRAGO auch dann entsteht, wenn Ansprüche mitverglichen werden, die bereits Gegenstand eines anderen Prozesses sind, für die derselbe Prozessbevollmächtigte die volle Prozessgebühr bereits verdient hat.[101] Die gleiche Problematik stellte sich ferner dann, wenn in der Berufungsinstanz Ansprüche mitverglichen werden, die in dem gleichen Rechtsstreit noch in erster Instanz anhängig sind.

 

Rz. 101

Eine Meinung lehnte das Entstehen einer weiteren Prozessgebühr nach § 32 Abs. 2 BRAGO ab, da der Sinn der Regelung darin bestehe, bezüglich nicht rechtshängiger Ansprüche diese gebührenrechtlich wenigstens mit einer halben Gebühr zu erfassen.[102] Die Gegenmeinung ließ den Prozessbevollmächtigten die zusätzliche halbe Prozessgebühr auch dann verdienen, wenn er hinsichtlich des übersteigenden Betrages die Prozessgebühr bereits in einem anderen Rechtsstreit verdient hatte.[103]

 

Rz. 102

Durch die Neuregelung in Anm. Abs. 1 hat sich dieser Meinungsstreit erledigt. Der Gesetzgeber hat sich für eine Anrechnungslösung entschieden, die quasi eine gebührenrechtliche Gesamtschau vornimmt: Erhält der Rechtsanwalt in einem anderen Verfahren eine Verfahrensgebühr wegen desselben Gegenstands, über den nunmehr in diesem Verfahren eine Einigung protokolliert bzw. festgestellt wird oder über den mit dem Ziel der Einigung verhandelt wird, erfolgt in dem anderen Verfahren eine Anrechnung. Damit wird der erforderliche gebührenrechtliche Ausgleich geschaffen. Angerechnet wird also der Mehrbetrag, der aufgrund der Einbeziehung der nicht rechtshängigen Ansprüche im Hinblick auf die 1,3-Verfahrensgebühr des Ausgangsverfahrens entstanden ist, wobei § 15 Abs. 3 beachtet werden muss.

[102] OLG Bremen JurBüro 1992, 97; LAG Bremen AnwBl 1993, 531; OLG Saarbrücken JurBüro 1994, 32; OLG Karlsruhe JurBüro 1994, 672; LAG Sachsen-Anhalt JurBüro 1997, 191; LAG Thüringen MDR 1997, 2115; KG Rpfleger 1998, 373; OLG München Rpfleger 1993, 508; OLG München AGS 2000, 123.
[103] OLG Düsseldorf NJW 1967, 55; KG JurBüro 1973, 128; OLG Hamburg JurBüro 1984, 1026; OLG Hamburg MDR 1997, 203; OLG München JurBüro 1999, 358; KG AGS 2001, 75 = JurBüro 2001, 91.

2. Anrechnung im anderen Verfahren

 

Rz. 103

Anm. Abs. 1 legt fest, dass die Gebühr nach dem Wert der nicht rechtshängigen Ansprüche auf eine Verfahrensgebühr, die der Rechtsanwalt wegen desselben Gegenstands in einem anderen Verfahren erhält, angerechnet wird. Teilweise wird aus dieser Formulierung geschlossen, dass die Anrechnung ausschließlich in dem anderen Verfahren stattzufinden hat.[104] Dabei wird jedoch § 15a außer Acht gelassen. Danach hat der Rechtsanwalt ein Wahlrecht, bei welcher der Gebühren er eine gesetzlich vorgesehene Anrechnung vornimmt. § 15a findet auch auf die hiesige Anrechnungsvorschrift nach Anm. Abs. 1 Anwendung,[105] da die Regelung grundsätzlich für alle im RVG geregelten Anrechnungen gilt, ohne dass Ausnahmen vorgesehen sind. Auch der Wortlaut der Anm. Abs. 1, wonach der übersteigende Betrag auf eine Verfahrensgebühr angerechnet wird, steht dem nicht entgegen. Eine gleichlautende Formulierung findet sich auch in den anderen Anrechnungsbestimmungen, bspw. in Vorb. 3 Abs. 4, wo "diese Gebühr … auf die Verfahrensgebühr" angerechnet wird. Der Rechtsanwalt kann daher auch die 0,8-Gebühr nach Nr. 2 im Einbeziehungsverfahren selbst anrechnen, also diese unberücksichtigt lassen, sodass die Verfahrensgebühr im einbezogenen Verfahren in unverminderter Höhe erhalten bleibt.

 

Rz. 104

Von Bedeutung ist die Differenzierung der Frage, in welchem Verfahren die Anrechnung erfolgt, insbesondere dann, wenn für die Verfahren unterschiedliche Kostenquoten gelten oder verschiedene Kostendeckungszusagen eines Rechtsschutzversicherers vorliegen. Die unterschiedliche Reichweite der Kostendeckungszusage kann darauf zurückzuführen sein, dass die anderen Ansprüche nicht von der Rechtsschutzversicherung erfasst werden oder dort eine Leistungsfreiheit besteht.

[105] N. Schneider, AGkompakt 2017, 92; N. Schneider, NJW-Spezial 2016, 411 f.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, VV 3101 Rn 104 ff.

3. Vertretung durch den gleichen Rechtsanwalt

 

Rz. 105

Die in Anm. Abs. 1 festgelegte Anrechnung erfolgt nur, soweit der gleiche Rechtsanwalt sowohl in dem einen wie in dem anderen Verfahren tätig war.[106] Zwar sieht dies der Wortlaut nicht ausdrücklich vor. Jedoch ergibt sich diese Auslegung aus der Überlegung, dass eine Anrechnung nur dann möglich ist, wenn der Anspruchsinhaber der gleiche ist. Sind zwei verschiedene Rechtsanwälte tätig, würde eine andere Auslegung zu der Konsequenz führen, dass der eine Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit in dem von ihm betriebenen Verfahren Einfluss auf die Gebührenansprüche des anderen Rechtsanwalts hätte, die dieser in ...

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