Rz. 12

Auf die Voraussetzungen des Abs. 1 S. 1 kommt es dann nicht an, wenn der Anwalt den Beschuldigten bereits aus anderen Gründen unmittelbar in Anspruch nehmen kann. Die Einschränkungen nach § 52 gelten dann nicht. Es handelt sich um folgende Fälle:

a) Vergütung aus der Zeit vor der Pflichtverteidigerbestellung

 

Rz. 13

War der Anwalt zunächst als Wahlverteidiger tätig und ist er später nach Niederlegung des Mandats als Pflichtverteidiger bestellt worden, so kann er die bis zur Niederlegung des Mandats angefallenen (Wahlanwalts-)Gebühren ungeachtet des § 52 geltend machen, da diese Gebühren nicht oder nicht nur während seiner Bestellung als Pflichtverteidiger angefallen sind, sondern (auch) während seiner Tätigkeit als Wahlverteidiger. Das gilt auch dann, wenn über § 48 Abs. 5 die entsprechenden Gebühren aus der Landeskasse zu zahlen sind.[6]

 

Beispiel: Der Anwalt wird als Wahlverteidiger im vorbereitenden Verfahren vor dem AG tätig sowie außerhalb der Hauptverhandlung. Unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung wird der Anwalt als Pflichtverteidiger bestellt und nimmt an der Hauptverhandlung teil.

a) Als Pflichtverteidiger erhält der Anwalt nicht nur die Vergütung für das gerichtliche Verfahren, sondern nach § 48 Abs. 5 auch die Vergütung für das vorbereitende Verfahren, also:

I. Vorbereitendes Verfahren

 
1. Grundgebühr, VV 4100 176,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104 145,00 EUR
Gesamt 321,00 EUR

II. Gerichtliches Verfahren

 
1. Verfahrensgebühr, VV 4106 145,00 EUR
2. Terminsgebühr, VV 4108 242,00 EUR
Gesamt 387,00 EUR
Gesamt I + II 708,00 EUR

b) Daneben kann der Anwalt unbeschadet des § 52 die weiter gehenden Gebühren eines Wahlverteidigers verlangen, soweit er als Wahlverteidiger tätig geworden ist, also im vorbereitenden Verfahren und im Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung. Er erhält danach bei Ansatz einer Mittelgebühr:

I. Vorbereitendes Verfahren

 
1. Grundgebühr, VV 4100 220,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104 181,50 EUR

II. Gerichtliches Verfahren

 
Verfahrensgebühr, VV 4106 181,50 EUR
Gesamt 583,00 EUR

Auch wenn hier § 52 nicht anwendbar ist und insbesondere die Verrechnungsvorschrift des Abs. 1 S. 2 nur zum Teil greift, muss sich der Anwalt nach allgemeinen Vorschriften (§§ 362, 268 BGB) die Zahlungen der Landeskasse, soweit diese die Pflichtverteidigergebühren zahlt, auf seine Vergütung anrechnen lassen, da er anderenfalls mehr als die gesetzliche Vergütung erhielte, was nicht sein darf.

Bei den Wahlverteidigergebühren ist daher hinsichtlich der Vergütung für das vorbereitende Verfahren die volle Vergütung in Höhe von 321 EUR abzuziehen. Hinsichtlich der Gebühren für das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung ist nur die Verfahrensgebühr des Pflichtverteidigers anzurechnen, also weitere 145 EUR, nicht auch die Terminsgebühr. Insgesamt sind nach § 52 Abs. 1 S. 2 also 466 EUR abzuziehen. Der Anwalt kann daher nach Zahlung der Pflichtverteidigergebühren aus der Staatskasse vom Beschuldigten an Wahlverteidigergebühren unmittelbar noch verlangen:

I. Vorbereitendes Verfahren

 
1. Grundgebühr, VV 4100 220,00 EUR
2. zu verrechnen (§§ 362, 268 BGB) – 176,00 EUR
3. Verfahrensgebühr, VV 4104 181,50 EUR
4. zu verrechnen (§§ 362, 268 BGB) – 145,00 EUR

II. Gerichtliches Verfahren

 
1. Verfahrensgebühr, VV 4106 181,50 EUR
2. zu verrechnen (§§ 362, 268 BGB) – 145,00 EUR
Gesamt 117,00 EUR

c) Nach Abs. 1 S. 1 wiederum stehen dem Anwalt zunächst die vollen Wahlverteidigergebühren zu:

I. Vorbereitendes Verfahren

 
1. Grundgebühr, VV 4100 220,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104 181,50 EUR

II. Gerichtliches Verfahren

 
1. Verfahrensgebühr, VV 4106 181,50 EUR
2. Terminsgebühr, VV 4108 302,50 EUR
Gesamt 885,50 EUR

Hier wiederum greift die volle Verrechnung nach Abs. 1 S. 2. Der Anwalt erhält also nach Zahlung der Pflicht- und Wahlverteidigergebühren über Abs. 1 S. 1 und 2 nur noch weitere

I. Vorbereitendes Verfahren

 
1. Grundgebühr, VV 4100 220,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104 181,50 EUR

II. Gerichtliches Verfahren

 
1. Verfahrensgebühr, VV 4106   181,50 EUR
2. Terminsgebühr, VV 4108   302,50 EUR
  Zwischensumme I + II 885,50 EUR  
  abzügl. Pflichtverteidigervergütung (Abs. 1 S. 2; s.o.)   – 708,00 EUR
  bereits unabhängig von § 52 geschuldete Vergütung (§§ 362, 268 BGB; s.o.)   – 117,00 EUR
Gesamt   60,50 EUR

Sofern die Pflichtverteidigergebühren gezahlt sind (Abs. 1 S. 2), ist also nur noch ein Beschluss nach § 52 wegen weiterer 60,50 EUR erforderlich.

Insgesamt stehen dem Anwalt damit die vollen Wahlverteidigergebühren zu, nämlich:

 
a) aus der Staatskasse die Pflichtverteidigergebühren 708,00 EUR
b) vom Beschuldigten unmittelbare geschuldete Wahlverteidigergebühren 117,00 EUR
c) restliche Wahlverteidigergebühren nach Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2 S. 1 60,50 EUR
Gesamt 885,50 EUR
 

Rz. 14

Obwohl der Pflichtverteidiger den Beschuldigten bereits aus einem vorangegangenen Wahlanwaltsvertrag unmittelbar in Anspruch nehmen kann, hat der Anspruch nach Abs. 1 S. 1 für ihn dennoch Bedeutung, etwa wenn der unmittelbar gegen ihn gerichtete Anspruch des Anwalts auf die Wahlgebühren bei Abschluss des Verf...

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