I. Prozesskostenhilfe und Beiordnung als Vergütungsrahmen

1. Problemstellung

a) Umfang der Beiordnung

 

Rz. 8

Die Sonderrechtsverbindung zwischen dem Anwalt der bedürftigen Partei und dem Fiskus als Vergütungsschuldner wird durch den Begriff der Beiordnung erfasst. Jedoch definiert er weder den gegenständlichen Aufgabenbereich des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalts noch die jeweiligen Tätigkeiten, für deren Entlohnung die Staats- oder Landeskasse aufzukommen hat. Abgesehen von den in § 48 Abs. 2–6 aufgeführten Fallgestaltungen hat der Gesetzgeber den Umfang der Beiordnung nicht eigenständig beschrieben, sondern unmittelbar mit dem Umfang der bewilligten Prozesskostenhilfe verknüpft. Das betrifft sämtliche Verfahren, in denen es zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommen kann (siehe § 12 Rdn 4) und in denen das RVG die Vorschriften für Verfahren über die Prozesskostenhilfe entsprechend anwendet (siehe § 12 Rdn 16 ff.).

b) Bewilligung und Beiordnung

 

Rz. 9

Im Grundsatz gilt: Eine nach § 121 Abs. 1[8] oder Abs. 2 ZPO[9] angeordnete Beiordnung, die als solche – wie im Regelfall – nicht näher beschrieben wird, reicht genau so weit wie die bewilligte Prozesskostenhilfe. Deshalb finden sich nur ausnahmsweise Vorschriften zur gegenständlichen Inhaltsbestimmung der Beiordnung. Bei Streitigkeiten darüber, ob eine konkrete Anwaltstätigkeit (noch) unter die Beiordnung fällt und deshalb von der Staatskasse zu vergüten ist, muss auf die Regelungen zur Prozesskostenhilfe zurückgegriffen werden. Die Verbindung zur Beiordnung wird durch eine Zweckbetrachtung entsprechend § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hergestellt: Dient die Tätigkeit des Anwalts dem Zweck, die Partei im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu vertreten, so fällt sie unter die Beiordnung;[10] betrifft sie eine andere Aufgabenstellung, wird sie davon nicht erfasst.[11] Maßgebend für die Zuordnung ist allein die Zweckbestimmung, nicht hingegen auch die Frage, ob die Tätigkeit des Anwalts insoweit erforderlich gewesen ist.

[8] Die Pflicht zur Beiordnung besteht auch, wenn der klagende Insolvenzverwalter selbst Rechtsanwalt ist (BGH 25.4.2002 – IX ZB 106/02, NJW 2002, 2179).
[9] Zum Anspruch der bedürftigen Partei auf Beiordnung in einem Verfahren ohne Anwaltszwang siehe beispielsweise: BGH 23.6.2010 – XII ZB 232/09, FamRZ 2010, 1427; BGH 11.9.2007 – XII ZB 27/07, NJW 2007, 3644 (Beiordnung eines Anwalts für den Beklagten im Vaterschaftsfeststellungsverfahren); BGH 18.7.2003 – IXa ZB 124/03, Rpfleger 2003, 591 (Beiordnung eines Anwalts für die Lohnpfändung); OLG Karlsruhe JurBüro 2004, 383 (Beiordnung eines Anwalts für den Unterhaltskläger); LG Koblenz AGS 2005, 299 (Beiordnung für die Pfändung wegen Unterhaltsforderung).
[10] OLG Hamburg AnwBl 1983, 572.
[11] OLG Düsseldorf MDR 1991, 258 (Mitwirkung des beigeordneten Verkehrsanwalts an einem Vergleich); OLG München BRAGOreport 2001, 12 (Umgangsvereinbarung gehört nicht zum isolierten Sorgerechtsverfahren).

c) Erforderlichkeit der anwaltlichen Tätigkeit

 

Rz. 10

Dieser Gesichtspunkt betrifft die Vergütungspflicht der Staatskasse für eine anwaltliche Tätigkeit, von der feststeht, dass sie im Rahmen der Prozesskostenhilfe durchgeführt wurde.[12] Aus dem Rechtscharakter dieser Pflicht als Hilfsschuld (siehe § 45 Rdn 7) folgt, dass die Staatskasse insoweit nicht zahlen muss, als eine vermögende Partei die Leistung verweigern könnte. Der Einwand der Partei, eine konkrete Tätigkeit des Anwalts sei zur Aufgabenerfüllung nicht notwendig gewesen, beschreibt eine Pflichtverletzung des Anwalts und kann von der Staatskasse in ihrer bürgenähnlichen Position ebenfalls erhoben werden (vgl. § 768 BGB) mit der Folge, dass deren Vergütungspflicht entfällt (siehe § 45 Rdn 49 f.).

[12] Das OLG Düsseldorf (Rpfleger 1994, 27 m.w.N.) differenziert nicht zwischen der Bewilligung als einem auftragsähnlichen Rahmen und der jeweiligen Tätigkeit des Anwalts als einer auftragsausfüllenden Handlung, weshalb es zu teilweise abweichenden Ergebnissen gelangt.

2. Geltungsumfang der Bewilligung von Prozesskostenhilfe

a) Bewilligungsbeschluss

 

Rz. 11

Ausgangspunkt der Betrachtung, für welche Interessenwahrnehmung des Anwalts zugunsten der bedürftigen Partei die Staatskasse aufzukommen hat, ist der Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Dieser ist für das Festsetzungsverfahren (§ 55) bindend (§ 55 Rdn 155), auch wenn die Bewilligung überhaupt nicht hätte beschlossen werden dürfen[13] oder wenn die Durchführung des Verfahrens nicht angezeigt gewesen ist[14] oder wenn der Zeitpunkt der Rückwirkung noch weiter zurückverlegt wird als auf den Zeitpunkt des Vorliegens eines vollständigen Antrags.

Zitat

"Maßgeblich ist ... allein der Inhalt des Prozesskostenhilfebewilligungsbeschlusses, wobei im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem Gerichtstermin auch der Inhalt der Sitzungsniederschrift zur Auslegung herangezogen werden kann."[15]

Ergibt die Auslegung, dass sich die Bewilligung sowohl auf das Hauptverfahren als auch auf das einstweilige Anordnungsverfahren erstreckt, so entfaltet ein entgegen stehender Beschluss, durch den der später ausdrücklich gestellte Antrag für das einstweilige Anordnungsverfahren abgelehnt wird, keine Rechtswirkung.[16]

 

Rz. 12

Die Verbindlichkeit der P...

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