Rz. 112

Wird ein Anwalt während des erstinstanzlichen Verfahrens bestellt oder beigeordnet, hätte er grundsätzlich nur einen Anspruch gegen die Landeskasse auf diejenige Vergütung, die ab dem Zeitpunkt seiner Bestellung oder Beiordnung entstanden ist.

 

Beispiel: Im dritten Hauptverhandlungstermin wird der Anwalt als Pflichtverteidiger bestellt.

Die Grundgebühr sowie die Terminsgebühren für die ersten beiden Hauptverhandlungstermine könnte der Anwalt aus der Landeskasse nicht verlangen, da diese Gebühren bereits zuvor entstanden sind und nicht mehr erneut ausgelöst werden.

Die Verfahrensgebühr als Dauergebühr, die durch diese Tätigkeit erneut ausgelöst wird (VV Vorb. 4 Abs. 2) könnte er dagegen aus der Landeskasse erhalten, ebenso die Terminsgebühr für den dritten Hauptverhandlungstermin und eventuelle weitere Termine. Bei der Verfahrensgebühr dürften allerdings nach § 14 Abs. 1 nur die nach Bestellung erfüllten Kriterien zu beachten sein.

 

Rz. 113

Von diesem Grundsatz, dass in der Regel nur diejenige Vergütung aus der Landeskasse zu zahlen ist, die nach Bestellung oder Beiordnung anfällt, macht Abs. 6 S. 1 eine Ausnahme.

Der Anwalt, der noch während des erstinstanzlichen Verfahrens bestellt oder beigeordnet wird, erhält die gesamte Vergütung, die

im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren und
im vorbereitenden Verfahren (bzw. in Bußgeldsachen im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde)

entstanden ist.

 

Rz. 114

Die Rückwirkung nach Abs. 6 S. 1 geht damit über die nach Abs. 6 S. 2 hinaus, weil sie auch noch das vorbereitende Verfahren mit erfasst.

 

Beispiel: Der Anwalt ist zunächst im vorbereitenden Verfahren tätig. Nachdem der Mandant in Haft genommen worden ist, nimmt der Anwalt noch im vorbereitenden Verfahren an einem Haftprüfungstermin teil. Der Mandant wird anschließend auf freien Fuß gesetzt. Hiernach kommt es zum gerichtlichen Verfahren. Im dritten Hauptverhandlungstermin wird der Anwalt beigeordnet.

Die Rückwirkung des Abs. 6 S. 1 erstreckt sich jetzt nicht nur auf die im gerichtlichen Verfahren zuvor angefallenen Gebühren, sondern auch auf die Gebühren und Auslagen im vorbereitenden Verfahren.

Der Anwalt erhält daher aus der Landeskasse:

I. Vorbereitendes Verfahren

 
1. Grundgebühr, VV 4100, 4101   216,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4104, 4105   177,00 EUR
3. Terminsgebühr, VV 4102, 4103   183,00 EUR
4. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 596,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   113,24 EUR
Gesamt   709,24 EUR

II. Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren

 
1. Verfahrensgebühr, VV 4106   145,00 EUR
2. Terminsgebühr, VV 4108   242,00 EUR
3. Terminsgebühr, VV 4108   242,00 EUR
4. Terminsgebühr, VV 4108   242,00 EUR
5. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 891,00 EUR  
6. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   169,29 EUR
Gesamt   1.060,29 EUR
 

Rz. 115

Voraussetzung ist, dass der Anwalt auch im vorbereitenden Verfahren tätig war. Die Vorschrift des Abs. 6 S. 1 fingiert nur die Erstreckung der Bewilligung und Beiordnung, sie fingiert nicht Gebühren und Auslagen, die tatsächlich gar nicht entstanden sind.

 

Beispiel: Im gerichtlichen Verfahren wird der Anwalt erstmals als Verteidiger beauftragt. Im dritten Hauptverhandlungstermin wird er gerichtlich bestellt.

Jetzt kann der Anwalt von der Landeskasse folgende Vergütung verlangen:

 
1. Grundgebühr, VV 4100   176,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, VV 4106   145,00 EUR
3. Terminsgebühr, VV 4108   242,00 EUR
4. Terminsgebühr, VV 4108   242,00 EUR
5. Terminsgebühr, VV 4108   242,00 EUR
6. Postentgeltpauschale, VV 7002   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.067,00 EUR  
7. 19 % Umsatzsteuer, VV 7008   202,73 EUR
Gesamt   1.269,73 EUR

Für das vorbereitende Verfahren steht ihm dagegen keine Vergütung zu, da eine solche nicht entstanden ist und durch Abs. 6 S. 1 auch nicht fingiert wird.

 

Rz. 116

Entsprechendes gilt für einen im Wege der Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO beigeordneten Rechtsanwalt. Der Nebenklägervertreter erhält daher alle auch für den Wahlverteidiger vorgesehenen Gebühren; insbesondere die Gebühren nach VV 4100 und VV 4104, wenn er nachträglich bestellt oder beigeordnet wird.[132]

 

Rz. 117

Zu den Fällen der Verbindung und Trennung im erstinstanzlichen Verfahren (siehe Rdn 173 ff. und 181 ff.).

[132] OLG Koblenz AGS 2007, 507 = RVGreport 2008, 139 = JurBüro 2007, 644.

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