Rz. 8

In zahlreichen Fällen sieht das RVG vor, dass bestimmte Gebühren einer Angelegenheit auf Gebühren einer anderen Angelegenheit anzurechnen sind. Einen allgemeinen Anrechnungsgrundsatz gibt es nicht. Die Anrechnung ist die Ausnahme und muss daher ausdrücklich gesetzlich geregelt sein. Anrechnungen innerhalb einer Angelegenheit sieht das RVG nicht vor. Im Gegenteil ist eine Anrechnungsvorschrift immer ein untrügliches Indiz dafür, dass verschiedene Angelegenheiten vorliegen. Das folgt im Ergebnis auch aus einem Umkehrschluss zu § 15 Abs. 6.

 

Rz. 9

Zum Teil finden sich die Anrechnungsvorschriften – wenn sie nur konkrete Gebühren betreffen – in den Anmerkungen zum jeweiligen Gebührentatbestand der anzurechnenden (z.B. Anm. Abs. 1 und 2 zu VV 3100) oder auch der Gebühr, auf die angerechnet wird (Anm. Abs. 2 zu VV 4100). Zum Teil finden sich die Anrechnungsvorschriften aber auch – wenn sie generell für bestimmte Angelegenheiten gelten – in den Vorbemerkungen (z.B. VV Vorb. 3 Abs. 4 bis 7; VV Vorb. 2.3 Abs. 5 und 6). Darüber hinaus sind Anrechnungsvorschriften auch unmittelbar im RVG geregelt (z.B. § 34 Abs. 2).

 

Rz. 10

Anzurechnen sind nur gesetzliche Gebühren. Eine vereinbarte Vergütung (§§ 3a ff.) ist grundsätzlich nicht anzurechnen. Siehe im Einzelnen Rdn 133.

 

Rz. 11

Anders verhält es sich bei der Vereinbarung einer Beratungsgebühr nach § 34 Abs. 1 S. 1, da es sich hier nicht um eine Vergütungsvereinbarung, sondern um eine Gebührenvereinbarung handelt (§ 34 Abs. 2). Hier wird ausnahmsweise auch eine vereinbarte Gebühr angerechnet. Soweit hier allerdings eine umfassende Vergütungsvereinbarung geschlossen, also nicht nur eine Beratungsgebühr vereinbart wird, wird nicht angerechnet.

 

Rz. 12

Eine Anrechnung ist nicht nur bei Wertgebühren vorgesehen, sondern auch bei Betragsgebühren, und zwar sowohl in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in Straf- und Bußgeldsachen als auch in Verfahren nach VV Teil 6. Auch für Festgebühren wie in der Beratungshilfe sind Anrechnungen vorgesehen.

 

Rz. 13

Zu beachten ist, dass eine Anrechnung immer dann ausgeschlossen ist, wenn seit Erledigung der vorangegangenen Angelegenheit, aus der die Gebühr anzurechnen ist, mehr als zwei Kalenderjahre vergangen sind (§ 15 Abs. 5 S. 2).[5]

 

Rz. 14

Grundsätzlich werden die anzurechnenden Gebühren voll auf die Gebühren einer nachfolgenden Angelegenheit angerechnet. Das Gesetz kennt hiervon allerdings Ausnahmen:

Nach VV Vorb. 3 Abs. 4 und VV Vorb. 2.3 Abs. 3 bis 6 sind die Geschäftsgebühren der VV 2300 und 2302 nur zur Hälfte anzurechnen, höchstens zu 0,75 bzw. höchstens zu 210 EUR.
Ebenfalls nur zur Hälfte anzurechnen ist die Geschäftsgebühr der VV 2503 auf die Geschäfts- oder Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens (Anm. Abs. 2 S. 1 zu VV 2503).
Nach Anm. Abs. 2 zu VV 4143 wiederum ist eine Anrechnung der Gebühr nach VV 4143 nur zu einem Drittel auf die Gebühren eines bürgerlichen Rechtsstreits vorgesehen.
Nach Anm. Abs. 2 S. 2 zu VV 2503 ist die Geschäftsgebühr der VV 2503 nur zu einem Viertel auf ein Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Vergleichs nach den §§ 796a, 796 b und 796 c Abs. 2 S. 2 ZPO anzurechnen.
Nach Anm. Abs. 1 zu VV 3101, Anm. Abs. 1 zu VV 3201, Anm. zu VV 3207, Anm. zu VV 3209, Anm. Abs. 2 zu VV 3104, Anm. Abs. 1 zu VV 3202 und Anm. zu VV 3210 wiederum sind rechnerische Differenzbeträge auf eine nachfolgende Verfahrensgebühr anzurechnen (siehe VV 3101 Rdn 126 ff.).
 

Rz. 15

Angerechnet werden nur Gebühren, nicht auch Auslagen. Insbesondere wird die Postentgeltpauschale der VV 7002 nicht angerechnet. Sie berechnet sich in der nachfolgenden Angelegenheit nach den vollen gesetzlichen Gebühren vor Anrechnung und nicht etwa nach einem rechnerischen Differenzbetrag, der nach Anrechnung noch verbleibt (ausführlich siehe dazu Rdn 56).

 

Rz. 16

Ist eine Gebühr einmal angerechnet, so ist damit die Anrechnung verbraucht. Ein und dieselbe Gebühr kann nicht mehrmals angerechnet werden.

 

Rz. 17

Soweit eine Anrechnung allerdings nicht verbraucht ist, weil das Gebührenaufkommen in der nachfolgenden Angelegenheit zu gering ist, kann auf eine nachnachfolgende Angelegenheit anzurechnen sein (siehe Rdn 74).

 

Rz. 18

Soweit sich die vorangegangene Angelegenheit noch nach der BRAGO richtet, sind die Anrechnungsvorschriften der BRAGO maßgebend. Die Anrechnung richtet sich immer nach demjenigen Gebührenrecht, aus dem die anzurechnende Gebühr stammt.

[5] Siehe dazu OLG Köln OLGR 2009, 601; OLG Düsseldorf AGS 2009, 212 = RVGreport 2009, 181; OLG München AGS 2006, 369; AG Siegburg 15.4.2016 – 323 F 76/15, AGS 2016, 268 = NJW-Spezial 2016, 413.

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