Leitsatz (amtlich)

1. Ein Versicherungsnehmer, der in der privaten Krankenversicherung gezahlte Beiträge zurückverlangen will, hat Anspruch auf - allein - die Erteilung von Nachtragsversicherungsscheinen aus vergangenen Jahren aus § 3 Abs. 3 VVG, wenn er darlegt und beweist, dass er über die ihm erteilten Versicherungsscheine nicht mehr verfügt.

2. Kein Anspruch auf Herausgabe von Unterlagen zur Beitragsanpassung ergibt sich aus § 810 BGB und auch keiner - jedenfalls keiner, der weiterginge, als jener aus § 3 Abs. 3 VVG - aus Art. 15 DS-GVO.

3. Ein inhaltsgleicher Anspruch auf Überlassung vergangener Nachtragsversicherungsscheine kann sich darüber hinaus aus Treu und Glauben, § 242 BGB, ergeben, wenn dargetan ist, dass für einen Rückforderungsanspruch oder eine zukünftige teilweise Beitragsbefreiung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht und der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist. Die Herausgabe von Unterlagen wird regelmäßig nicht benötigt, wenn es sich dabei um standardisierte Anschreiben und Beiblätter handelt, die den Prozessbevollmächtigten des Versicherungsnehmers sämtlich vorliegen.

4. Unter derartigen Vorzeichen ist eine Stufenklage, für die es genügt, dass nur ein Teil der für die Bezifferung benötigten Informationen im Wege der Auskunftsklage zu erlangen ist, zulässig. Der Versicherungsnehmer kann mit den Nachträgen seine Ansprüche beziffern; ob sie bestehen oder nicht, ist eine Frage der Begründetheit auf der zweiten Stufe.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 810; EUV 2016/679 Art. 15; VVG § 3 Abs. 3

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels hinsichtlich des Antrags zu 1 im Übrigen im Wege des Teilurteils das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 10. November 2021 teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die ihm erteilten Nachtragsversicherungsscheine zu dem Krankenversicherungsvertrag zur Nummer 46.906.352/1/01 aus der Zeit vom 1. Juni 2014 bis zum 31. Dezember 2018 erneut auszustellen; im Übrigen wird die Klage mit dem Antrag zu 1 abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem Dezember 1987 eine private Kranken- und Pflegeversicherung, in der verschiedentliche Beitragsanpassungen stattfanden, über die die Beklagte den Kläger zuvor schriftlich informierte. Seit dem August 2020 wird, da der Kläger seiner Beitragszahlungspflicht nicht nachgekommen war, der Krankenversicherungsvertrag im Notlagentarif geführt.

Mit anwaltlicher E-Mail vom 7. Oktober 2020 nebst Vollmacht ließ der Kläger die Übersendung von Kopien sämtlicher Unterlagen zu sämtlichen Beitragserhöhungen seit dem Januar 2010 verlangen, die ihm nicht mehr vorlägen. Die Beklagte wies das mit Schreiben vom 22. Oktober 2020 unter Verweis auf eine ungenügende Vollmacht, die den Gegenstand der Vertretung nicht erkennen ließ, zurück.

Mit seiner im Dezember 2020 eingereichten und im April 2021 zugestellten Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Auskunft über alle Beitragsanpassungen ab dem Juni 2014 unter Beifügung geeigneter Unterlagen zu Höhen und Tarifen, zu den übermittelten Anschreiben und Nachträgen sowie zu den Begründungsschreiben und Beiblättern verlangt, weiter die Feststellung, dass die noch näher zu bezeichnenden Erhöhungen unwirksam seien und er nicht zur Beitragszahlung verpflichtet sei, sowie schließlich die Rückzahlung eines nach der Auskunft noch zu beziffernden Betrages. Er hat geltend gemacht, er könne im Wege der Stufenklage zunächst Auskunft und sodann Feststellung und Zahlung verlangen. Aufgrund der Weigerung der Beklagten bestehe begründeter Anlass zu der Annahme, dass Prämienanpassungen durchgeführt worden seien, die der Begründungspflicht des § 203 Abs. 5 VVG nicht genügten, sodass er, der Kläger, zu Unrecht erhöhte Beiträge gezahlt habe. Das wolle er, so hat er anfänglich vorgetragen, prüfen lassen; später hat er behauptet, die mit den jeweiligen Erhöhungen wortgleich in der ganzen Republik versandten Begründungen seien defizitär (Bl. 64). Da ihm die einzelnen Nachträge zum Versicherungsschein sowie die Begründungsschreiben nicht mehr vorlägen (vgl. dazu die Verlusterklärung vom 9. Juni 2021), benötige er die verlangten vollständigen Unterlagen. Diese habe ihm die Beklagte nach § 3 Abs. 4 VVG, § 810 BGB analog, § 666 BGB, Art. 15 DS-GVO und Treu und Glauben (§ 242 BGB) zur Verfügung zu stellen.

Die Beklagte hat sich dem entgegengestellt. Die Stufenklage sei schon unzulässig. Dem Kläger stehe auch kein Auskunftsanspruch zu. Da, worauf sie sich berufe, etwaige Zahlungsansprüche des Klägers vor dem Jahr 2017 ohnehin verjährt seien, bestehe für weiter zurückreichende Auskünfte auch kein Informationsbedürfnis. Ohnehin seien ihre Anpassungsmitteilungen förmlich wirksam gewesen.

Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen.

Als Stufenklage...

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