Leitsatz (amtlich)

1. § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B ist im Rahmen eines Insolvenzverfahrens anwendbar und verstößt nicht gegen § 119 InsO; eine unzulässige Einschränkung des Wahlrechtes des Insolvenzverwalters durch die Kündigung gem. § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B ist nicht gegeben.

2. Der Schadensersatzanspruch des Kündigenden gem. § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B wird durch das Insolvenzverfahren nicht beeinträchtigt, da er gerade für diesen Fall besteht.

3. Das gilt jedenfalls in den Insolvenzverfahren, die durch einen Eigenantrag des Insolvenzschuldners in Gang gesetzt werden.

 

Normenkette

InsO § 119; VOB/B § 8 Nr. 2 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Lübeck (Urteil vom 30.06.2011; Aktenzeichen 8 O 17/11)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 30.6.2011 verkündete Urteil des Vorsitzenden der Kammer für Handelssachen I des LG Lübeck wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

A. Die Klägerin begehrt die Herausgabe einer Vertragserfüllungsbürgschaft der A Versicherung AG bis zu einem Höchstbetrag von 700.000 EUR für das Bauvorhaben Altenpflegeheim ..., welches die Beklagte bei der Klägerin mit Generalunternehmerbauvertrag vom 29.8.2008 in Auftrag gegeben hatte. In § 2 Nr. 11 des Generalunternehmervertrages vereinbarten die Parteien die Geltung der VOB/B in ihrer jeweils neuesten Fassung. Der Pauschalfestpreis sollte 8.700.000 EUR netto betragen. Entsprechend der in § 11 des Generalunternehmervertrages vereinbarten Verpflichtung, eine Vertragserfüllungsbürgschaft i.H.v. 10 % der Bruttoauftragssumme zu übergeben, erhielt die Beklagte von der Klägerin die im Klagantrag zu 1 bezeichnete Bürgschaft über 700.000 EUR.

Am 10.8.2009 stellte die Klägerin Insolvenzantrag über ihr Vermögen, am 11.8.2009 bestellte das AG Potsdam einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Die dann noch im August 2009 aufgenommenen Verhandlungen zwischen der Beklagten, dem vorläufigen Insolvenzverwalter und dem mit der Sanierung beauftragten Treuhänder über die weitere Abwicklung des Bauvorhabens führten nicht zu einer einvernehmlichen Fortsetzung des Generalunternehmervertrages.

Mit Schreiben vom 18.9.2009 kündigte die Beklagte den Bauvertrag unter Hinweis auf § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B fristlos und behielt sich die Geltendmachung einer Vertragsstrafe und von Schadensersatzansprüchen vor.

Am 1.11.2009 eröffnete das AG Potsdam das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin und ordnete die Eigenverwaltung gem. § 270 InsO an.

Am 18.11.2009 schloss die Beklagte mit der W Bauunternehmen GmbH aus ... einen Generalunternehmervertrag über die Erbringung noch ausstehender Bau- und Werkleistungen an dem Altenpflegeheim.

Nachdem der BGH am 15.7.2010 den in der Gläubigerversammlung am 23.12.2009 geschlossenen Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt hatte, hob das AG Potsdam am 30.8.2010 das Insolvenzverfahren auf. Das Verfahren wurde von Beginn an als eigenverwaltetes Verfahren geführt. Die Klägerin setzte den Geschäftsbetrieb ununterbrochen fort.

Mit Schreiben vom 9.7.2010 nahm die Beklagte gegenüber der A Versicherung die Bürgschaft in Anspruch. Mit Schreiben vom 22.12.2010 forderte die Klägerin die Beklagte auf, bis zum 31.12.2010 die Vertragserfüllungsbürgschaft herauszugeben.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Beklagten stehe kein durch die Bürgschaft gesicherter Schadensersatzanspruch gegenüber der Klägerin zu. Sie könne sich nicht auf § 8 Nr. 2 Abs. 1 und 2 VOB/B berufen. Die Kündigung sei ohne wichtigen Grund erfolgt. Die Regelungen in § 8 Nr. 2 VOB/B seien nicht wirksam zwischen den Parteien vereinbart, denn diese würden zum Nachteil der Klägerin vom gesetzlichen Leitbild abweichen, nämlich den Regelungen der Insolvenzordnung zum Masseerhalt und den Wahlrechten des Verwalters widersprechen. Die Kündigung sei auch rechtsmissbräuchlich, weil die Beklagte durch eine Fortsetzung des Vertrages keine Nachteile habe befürchten müssen. Die Kündigung sei daher als freie Auftraggeberkündigung wirksam geworden; der Beklagten stünden keinerlei Gegenansprüche aufgrund Restfertigstellungsmehrkosten oder Verzögerungen der Leistungserbringung zu.

Zudem seien angebliche Zahlungsansprüche im Rahmen des eine umfassende Restschuldbefreiungsregelung vorsehenden Insolvenzplans an einen Treuhänder abgetreten worden. Die Beklagte sei nicht länger Forderungsinhaberin und deshalb auch nicht mehr durch die Bürgschaft gesichert.

Die Beklagte hat behauptet, die Arbeiten der Klägerin würden Mängel aufweisen; die Klägerin sei mit ihrer Leistung bereits in Verzug gewesen, als sie ab dem 21.7.2009 ihre Bautätigkeit eingestellt habe. Bei Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens sei sie bereits drei Monate gegenüber ihrer Terminplanung in Rückstand gewesen...

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