Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamkeit der Klausel zum insolvenzbezogenen Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers

 

Leitsatz (amtlich)

§ 8 Abs. 2 VOB/B ist nach § 119 InsO unwirksam (Ergänzung zu BGH, Urt. v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, NJW 2013, 1159 ff.). Der den Bauvertrag wegen eines Eigeninsolvenzantrages des Auftragnehmers kündigende Auftraggeber kann deshalb einen Schadensersatzanspruch wegen der Mehrkosten zur Fertigstellung nicht allein auf diesen Antrag stützen.

 

Normenkette

BGB §§ 307, 649; InsO §§ 103, 119; VOB/B § 8 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Urteil vom 07.02.2014; Aktenzeichen 1 O 139/13)

BGH (Aktenzeichen VII ZR 56/15)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 07.04.2016; Aktenzeichen VII ZR 56/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 7.2.2014 verkündete Grundurteil der 1. Zivilkammer des LG Wiesbaden abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das vorliegende Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

1. Die Klägerin nimmt die Beklagte als Erfüllungsbürgin nach der insolvenzbedingten Kündigung eines die VOB/B einbeziehenden Generalunternehmervertrages vom 22.6.2011 mit der X GmbH über die Errichtung eines Geschäftshauses in O1 (Anlage K 1 im Anlagenband) in Anspruch, und zwar im Wesentlichen auf die Erstattung von Fertigstellungsmehrkosten. Der Generalunternehmervertrag verpflichtete den Auftragnehmer unter V d) zur Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft i.H.v. 5 % der Abrechnungssumme anlässlich der "Schlussrechnungsstellung", unter VIII zur Stellung einer Erfüllungsbürgschaft i.H.v. 10 % der Auftragssumme; die Erfüllungsbürgschaft sollte im Austausch mit der Gewährleistungsbürgschaft zurückgegeben werden. Nach Nr. XV des Generalunternehmervertrages sollte die Klägerin "unbeschadet der Regelung in § 8, VOB, Teil B" zur sofortigen Kündigung berechtigt sein, wenn der Auftragnehmer das Insolvenz- oder Vergleichsverfahren beantragt oder seine Zahlungen einstellt. Die Beklagte verbürgte sich in Vollzug des Bauvertrages mit Urkunde vom 30.8.2011 i.H.v. 166.000 EUR (Anlage K 3 im Anlagenband). Am 20.4.2012 stellte die X GmbH einen Eigeninsolvenzantrag und teilte dies der Klägerin mit, die noch am selben Tage auf der Grundlage "der vertraglich getroffenen Vereinbarung und auch den einschlägigen Bestimmungen insbesondere im § 8 VOB/B" den Vertrag "aus wichtigem Grunde fristlos" kündigte (Anlage K 21 im Anlagenordner). Daraufhin stellte die X GmbH ihre Tätigkeit auf der klägerischen Baustelle ein. Die Klägerin ließ die Arbeiten von dritter Seite - insbesondere bisherigen Nachunternehmern der X GmbH - fertigstellen. Sie hat behauptet, ihr seien dadurch Mehrkosten i.H.v. 382.744,02 EUR entstanden. Die Beklagte hat zum einen eingewandt, das formularmäßige Verlangen nach einer Erfüllungsbürgschaft i.H.v. 10 % benachteilige den Auftragnehmer im Lichte der Neufassung des § 632a Abs. 3 BGB unangemessen i.S.d. § 307 BGB, die Sicherungsabrede sei insoweit unwirksam. Zum anderen sei die Einräumung eines Sonderkündigungsrechtes gem. § 8 Abs. 2 VOB/B wegen seiner das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausschließenden Wirkung nach § 119 InsO unwirksam.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das LG, dessen Urteil z.B. in BauR 2014, 1321 ff. veröffentlicht ist, hat die Klage für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers vorgegebene Sicherungsabrede, die den Auftragnehmer zur Stellung einer Erfüllungsbürgschaft i.H.v. etwa 10 % verpflichtet, benachteilige den unternehmerisch tätigen Auftragnehmer nicht unangemessen. Das vertragliche Sonderkündigungsrecht für den Fall der Insolvenz des Auftragnehmers sei auch nach §§ 103, 119 InsO wirksam. Die Rechts- und Interessenlage beim Bauvertrag unterscheide sich deutlich von der beim Kaufvertrag, über den der IX. Zivilsenat des BGH entschieden habe. Ein Bauvertrag sei nach § 649 BGB ohnehin jederzeit kündbar, so dass der Insolvenzverwalter der Masse günstige Verträge gegen den Willen des Auftraggebers nicht erhalten könne. Das Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers entspreche dessen schutzwürdigen Belangen und dem praktischen Bedürfnis, auch im Interesse anderer Baubeteiligter eine längere Zeit der Ungewissheit über die Vertragsdurchführung und einen entsprechenden Baustillstand zu vermeiden. Aus den nämlichen Erwägungen halte die Kündigungsregelung auch einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.

Die Beklagte begründet ihre Berufung mit Rechtsausführungen, wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie beantragt, das landgerichtliche Urteil abzuändern ...

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