Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Haftung der VW AG aus § 826 BGB für den Motortyp EA 288 SCR, Euro 6, der erst im November 2017 erworben wurde (Spätkauf)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.

2. Der Motortyp EA 189 ist nicht mit dem Nachfolgeaggregat EA 288 SCR Euro 6 vergleichbar, weil letzteres unstreitig mit anderer Steuerungssoftware und Abgasreinigungstechnik ausgestattet ist. Es handelt sich beim EA 288 um ein temperaturabhängiges Abgasrückführungssystem, welches vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei dem Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als technische Rechtfertigung plausibel und nachvollziehbar angeführt werden können.

3. Die Applikationsrichtlinie vom 18.11.2015 sah für EA 288 SCR-Fahrzeuge u.a. vor, dass schon ab KW 47/2015 entsprechende Neufahrzeuge nicht mehr mit einer Fahrkurve versehen werden sollten. Unstreitig ist das streitgegenständliche Fahrzeug erst am 14.04.2016 produziert worden, so dass der Kläger hinsichtlich des behaupteten Fahrkurve dem entsprechenden Hinweis der Beklagten aus der Applikationsrichtlinie hätte wirksam entgegentreten müssen.

4. Die VW-AG hat - gerichtsbekannt - unmittelbar nach Bekanntwerden des sog. Dieselskandals wegen des Motors EA-189, das Vorhandensein der Fahrkurvenerkennung im Motortyp EA-288 gegenüber dem KBA als Zulassungsbehörde offengelegt und bereits am 2.10.2015 das zuständige KBA über die Fahrkurvenerkennung/Zykluserkennung informiert. Ab November 2015 hatte der Hersteller damit begonnen, jene Software mittels eines Software-Updates zu entfernen bzw. bei neuen Fahrzeugen spätestens ab dem Modell SOP 22/2016 nicht mehr zu verwenden. Damit hat die Beklagte ihr Verhalten nach außen hin so Sinne verändert, sodass es in der Gesamtschau nicht mehr als sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB qualifiziert werden kann (vgl BGH VI ZR 5/20, Urteil vom 30.07.2020; BGH VI ZR 839/20, Urteil vom 23.11.2021; OLG Schleswig, Urteil vom 13.07.2021, 7 U 188/20, juris).

5. Unstreitig hat das zuständige KBA die Fahrkurvenerkennung beim EA 288 nicht als unzulässige Abschalteinrichtung qualifiziert und tut dies auch immer noch nicht. Wenn schon die zuständige Aufsichtsbehörde kein Einschreiten für geboten hält, kommt dem Hersteller zumindest ein Vorsatz ausschließender Verbotsirrtum zu Gute.

6. Dem Kläger steht auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) 715/2007 zu. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. Art. 5 VO (EG) 715/2007 stellen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 29.10.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf schadenersatzrechtliche Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufs im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal in Anspruch.

Der Kläger erwarb im November 2017 bei der A GmbH in Y einen Pkw Skoda 2.0 TDI, Erstzulassung 27.06.2016, der der Euro-6-Norm unterliegt (verbindliche Bestellung vom 20.11.2017, Bl. 202 d. A.). Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor Typ EA 288 ausgestattet. Neben der üblichen Abgasrückführung verfügt das Fahrzeug zur Reduktion der NOx-Emissionen über einen SCR-Katalysator. Der Kaufpreis betrug 20.800 EUR, die damalige Laufleistung des Fahrzeugs 29.112 km. Einen Teil des Kaufpreises in Höhe von 14.000 EUR finanzierte der Kläger über ein Darlehen bei der "X Bank" (Anlage RO2, Bl. 433 ff. d. A.). Die Laufzeit des Darlehens betrug 84 Monate, die monatliche Rate betrug 184,89 EUR, wobei die erste Rate am 30.11.2017 fällig war.

Nach seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger das Darlehen zum 31.03.2022 vorzeitig abgelöst.

Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 17.05.2022 hatte das Fahrzeug einen Tachostand von 110.448 km.

Das Fahrzeug des Klägers ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA) betroffen. Unstreitig ist die Rate der Abgasrückführung u.a. abhängig von der Außentemperatur (sog. Thermofenster). Nach dem Vortrag der Beklagten kommt die Verringerung der Abgasrückführungsrate bei Außentemperaturen unterhalb von - 24 °C bzw. oberhalb von + 70 °C zum Tragen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihm wegen vorsätzlicher...

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