Entscheidungsstichwort (Thema)

Deliktische Haftung von VW wegen KBA-Rückrufaktion (Code 23Z7) beim T6, 2.0 TDI (Baujahr 2014-2017), Euro 6 mit EA 288 Dieselmotor und SCR-Katalysator.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Beklagte hat ihre sekundäre Darlegungslast zu den Hintergründen der KBA-Rückrufaktion vom 17.4.2019 (Code 23Z7) erfüllt. Für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen in Form eines Thermofensters, einer Fahrkurvenerkennung, einer SCR-Dosierstrategie wegen eines fehlerhaften Ki-Faktors gibt es keine hinreichenden Anknüpfungspunkte.

2. Aus der in Abstimmung mit dem zuständigen KBA von VW herausgegebenen "Applikationsanweisung Diesel Fahrkurven EA 288 SCR" vom 18. November folgt, dass in Neufahrzeuge mit EA 288-Dieselmotoren ab KW 22/16 (d.h. seit dem 30.5.2016) keine Fahrkurven mehr verbaut wurden.

3. Der bloße Verbau einer Fahrkurvenerkennung ist regulatorisch zulässig, solange die Funktion tatsächlich nicht als Abschalteinrichtung gemäß Art. 3 Abs. 10 VO (EG) 715/2007 genutzt wird. Eine solche liegt nicht vor, wenn die Vorrichtung zwar den Teststandsbetrieb erkennt und Änderungen herbeiführt, die den Schadstoffausstoß beeinflussen, diese Vorrichtung im Ergebnis aber nicht grenzwertkausal ist.

4. Die KBA-Rückrufaktion vom 17.4.2019 für den VW T6 mit EA 288-Motor unter dem Code 23Z7 bietet keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unerlaubten Abschalteinrichtung. Es handelt sich lediglich um eine sog. Konformitätsabweichung, weil es nachträglich - sei es im Rahmen der Produktion oder des Alterungsprozesses des Fahrzeuges - zu Abweichungen gekommen ist, aufgrund derer die Grenzwerte nicht mehr eingehalten werden. Solche Rückrufbescheide wegen Konformitätsabweichungen lassen nicht den Schluss zu, dass der Motorenhersteller bewusst unzulässige Abschalteinrichtungen zur Erlangung der EG-Typgenehmigung eingesetzt hat.

 

Normenkette

BGB §§ 31, 826; EGV 715/2007 Art. 3 Abs. 10

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 11.5.2021, Az. 2 O 114/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufs.

Am 28.12.2018 erwarb der Kläger bei der Autohaus R. GmbH in R. einen gebrauchten VW Multivan T6, 2.0 TDI, EZ 4.4.2017, Euro 6 mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer XXX zu einem Kaufpreis von 45.890,00 EUR. Das Fahrzeug wies bei Kauf eine Laufleistung von 14.500 km auf (vgl. Kaufvertrag Anlage K1).

Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 mit Dieselpartikelfilter (DPF) und SCR-Katalysator ausgestattet und verfügt über einen 15 Liter AdBlue-Tank.

Am 17.4.2019 hat das zuständige Kraftfahrtbundesamt (KBA) unter der KBA-Referenz Nr. 007710 bzw. dem Hersteller-Code 23Z7 alle Fahrzeuge der Beklagten des Typs T6, 2.0 TDI, der Schadstoffklasse Euro 6, Baujahr 2014 bis 2017 zurückgerufen. Die Rückrufaktion lief unter der Beschreibung "Konformitätsabweichung führt zur Überschreitung des Euro-6-Grenzwertes für Stickoxide". Die Beklagte entwickelte darauf ein Software-Update, das vom KBA geprüft und mit Bescheid vom 19.11.2018 (Anlage B3) freigegeben wurde. In dem Bescheid heißt es u.a.: "Es wurden keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt. Die Grenzwerte werden eingehalten und es wurde ermittelt, dass die obigen Fahrzeuge mit der neuen Software nunmehr wieder der ursprünglichen Ki-Familie und den dort ermittelten Ki-Werten zugeordnet werden können". Das Fahrzeug war von einer sog. technischen Konformitätsabweichung erfasst, die im Zusammenhang mit der Regeneration des Dieselpartikelfilters (DPF) und dem sog. Ki-Faktor stand. Der Ki-Faktor ist ein Korrekturfaktor, der bei Abgastestergebnissen angewendet wird und die Emissionen erfasst, die während der Regeneration periodisch regenerierender Systeme, wie z.B. des DPF, auftreten. Im DPF sammeln sich die beim Verbrennungsvorgang von Dieselkraftstoff anfallenden Rußpartikel. Bei der Regeneration werden die zuvor angesammelten Bestandteile durch einen thermischen Vorgang abgebrannt und unschädlich gemacht. Regeneriert der DPF, führt dies punktuell zu deutlich erhöhten Abgasemissionen. Die Regenerationsintervalle liegen aber so weit auseinander (je nach Fahrzeugtyp alle 400-500 km), dass sie nicht bei jeder Prüfstandsfahrt erfolgen (der NEFZ ist nur 11 km lang). Deshalb können bei einer Prüfstandsfahrt diese bei der erforderlichen DPF-Regeneration zusätzlich anfallenden Abgasemissionen nicht abgebildet werden. Deshalb wird dafür rechnerisch ein Ki-Faktor gebildet und mi...

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