Verfahrensgang

LG Flensburg (Aktenzeichen 7 O 71/20)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 30.10.2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges

3. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung eines Autokaufes im Schadenersatzwege in Anspruch.

Der Kläger hatte am 19.02.2016 bei der I1 GmbH einen VW Caddy Maxi, 2.0 TDI (EU 6) zum Preis von 21.080,00 EUR (brutto) gekauft (Anlage K 1). Das betreffende Fahrzeug wurde von der Beklagten am 14.05.2016 produziert und am 6. Juni 2016 an den Kläger als Neuwagen ausgeliefert. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter und produzierter Dieselmotor der Baureihe EA-288 mit SCR-Abgaskatalysator und BMT (Blue Motion Technologie) verbaut.

Zur Reduzierung der Stickoxidemissionen kommt im klägerischen Fahrzeug neben der normalen Abgasrückführung (AGR) eine sog. SCR-Anlage zum Einsatz. Dabei handelt sich um einen Abgaskatalysator, basierend auf der selektiven katalytischen Reduktion (SCR= selective catalytic reduction). Das Funktionsprinzip des SCR Katalysators besteht darin, dass Ammoniakgas (NH3) an geeigneten katalytischen Oberflächen mit Stickoxiden chemisch reagiert, wobei sowohl die Stickoxide als auch das Ammoniak abgebaut werden und im Ergebnis im wesentlichen nur Stickstoff und Wasserdampf entstehen.

Zweitinstanzlich ist unstreitig, dass zum Zeitpunkt der Auslieferung des Fahrzeuges an den Kläger in den Motorsteuerungsgeräten (MSG) u.a. eine sog. Fahrkurvenerkennung (Lenkwinkelsensor) programmiert war, über deren Funktion die Parteien streiten. Diese Programmierung wurde nach dem Vortrag der Beklagten im Rahmen des Aufspielens eines Software-Updates (21H1) am 12.12.2019 wieder entfernt worden sein.

Weiterhin ist in der Motorsteuerung des Wagens ein sog. Thermofenster programmiert.

Bei dem VW Motor EA 288 handelt es sich um das Nachfolgemodell des VW Dieselmotors EA 189, der zunächst im Zentrum des im Herbst 2015 bekannt gewordenen VW-Dieselskandals stand. Während die Produktion des EA 189 bereits im Oktober 2015 für die in der EU vermarkteten Fahrzeuge eingestellt worden war, erfolgte die Produktion des Nachfolgeaggregats EA 288 auch noch darüber hinaus. Im Oktober/November 2015 gab es deshalb mehrere Treffen zwischen der Beklagten und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), in deren Folge ein mit dem KBA entwickelter Leitfaden (sog. "Applikationsrichtlinie EA 288", Anlage BB 37) entwickelt wurde. Der Dieselmotor EA 288 war zu diesem Zeitpunkt bereits Euro 6 zertifiziert (NOx-Grenzwert EU6b: 80 mg/km) und wurde schon seit 2012 in Fahrzeugen bis 2,0 l Hubraum bzw. noch bis 2018 in aktuelle Modelle der Marken VW, Audi, Seat und Skoda verbaut. Je nach Modell kommt bei den Motorversionen mit der Abgasnorm Euro 6 entweder ein NOx-Speicherkatalysator (NSK) oder eine SCR Anlage zum Einsatz. Einen Pflichtrückruf, der vom Kraftfahrtbundesamt (KBA) angeordnet wurde, gab es bisher nur für den VW-Bus T6 in der Modellvariante mit dem 2,0 TDI Motor unter dem Herstellercode 23Z7. Im Übrigen hat das KBA bislang unstreitig keinen Pflichtrückruf für Fahrzeuge mit den EA 288-Motor angeordnet.

Im November 2015 entschied die Beklagte, die bei den EA-288-Aggregaten mit SCR-Technologie vorhandene Fahrkurve künftig zu entfernen und diese ab dem Modellwechsel in KW 22/2016 (Ende Mai 2016) nicht mehr zu verwenden. Sie erstellte hierzu am 18.11.2015 eine mit dem zuständigen KBA vereinbarte, bindende Entwicklungsvorgabe "Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinie & Freigabevorgaben EA 288" (Anlage BB 37). In dieser Applikationsanweisung heißt es u.a. zu den "Fahrkurven EA 288 SCR" auf S. 5: "Fahrkurven dürfen nicht zur Einhaltung der Emission-Grenzwerte genutzt werden. Diese müssen durch Ausbedatung oder Software-Änderung entfernt werden. ... ab KW 22/16 sind bei neuen Freigaben die Fahrkurven aus der Software entfernt". Mit Schreiben vom 29.12.2015 legte die Beklagte gegenüber dem KBA unter anderem dar, dass die in den Motorsteuergeräten (MSG) hinterlegte Fahrkurve, mit welcher die Optimierung der NOx-Emissionen bei dem bezeichneten Aggregat vorgenommen worden sei, zwar auch in dem Nachfolgeaggregat EA 288 enthalten, hier aber nicht zu einer Optimierung der NOx-Emissionen im Prüfstandsbetrieb genutzt worden sei.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihm gem. § 826 BGB zum Schadenersatz verpflichtet. Sowohl bei der Fahrkurvenerkennung als auch bei dem Thermofenster handle es sich um illegale Abschalteinrichtungen. Dazu hat der Kläger weiter behauptet, dass SCR-System sei prüfstandsoptimiert so gesteuert, dass die geforderten Werte nur im NEFZ-Fahrzyklus eingehalten würden, im Realbetrieb sei der NOx-Ausstoß deutlich höher, da die AdBlue-Zufuhr außerhalb des Prüfstandes anders geregelt sei.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 21.080,00 EUR nebst Zinsen...

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