Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungskonforme Auslegung des § 1600 Abs. 2 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Feststellung, ob zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung i.S.v. § 1600 Abs. 3 BGB besteht, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

2. Ausnahmsweise können es jedoch die Umstände des konkreten Einzelfalls im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 1600 Abs. 2 BGB gebieten, nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses der letzten Tatsacheninstanz, sondern auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung abzustellen.

3. Das Verfahren zur Erlangung der rechtlichen Vaterstellung muss hinreichend effektiv sein (BVerfG, FamRZ 2019, 124). Ist der leibliche Vater aufgrund eines vorgeburtlichen Vaterschaftsanerkenntnisses eines anderen Mannes daran gehindert, ein Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft einzuleiten und leitet er daher unmittelbar nach der Geburt des Kindes ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren ein, darf ihm die Erlangung der Vaterstellung nicht versperrt werden, wenn im Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung noch keine sozial-familiäre Beziehung des anderen Mannes zu dem Kind bestand.

 

Normenkette

BGB § 1600 Abs. 2-3, § 1600b; FamFG § 183; FamGKG § 47 Abs. 1

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 11. September 2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schleswig vom 10. August 2020 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass Herr B., geb. am ..., nicht der Vater des am ... 2019 geborenen Kindes A. ist.

Zugleich wird festgestellt, dass Herr C., geb. am ..., der Vater des am ... 2019 geborenen Kindes A. ist.

II. Die Gerichtskosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller, die Kindesmutter und der weitere Beteiligte zu 3) jeweils zu 1/3. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden nicht erstattet.

III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

IV. Die Festsetzung des Verfahrenswerts für den ersten Rechtszug durch das Amtsgericht - Familiengericht - Schleswig mit Beschluss vom 10. August 2020 wird dahingehend abgeändert, dass der Verfahrenswert für den ersten Rechtszug ebenfalls auf 4.000,00 Euro festgesetzt wird.

V. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass nicht der weitere Beteiligte zu 3), sondern er selbst der Vater der am ... 2019 geborenen A. ist.

Vom 3. November 2018 bis zum 16. Januar 2019 führten der Antragsteller und die Kindesmutter miteinander eine kurzzeitige Beziehung. In dieser Zeit wurde die Kindesmutter schwanger, wovon der Antragsteller jedoch erst nach der Trennung erfuhr.

Am 22. August 2019 erkannte der weitere Beteiligte zu 3), der neue Lebensgefährte der Kindesmutter, mit deren Zustimmung die Vaterschaft zu dem ungeborenen Kind vor dem Jugendamt des Kreises X. an (Urkundsregisternummer ...) und die Kindesmutter und der weitere Beteiligte zu 3) gaben eine gemeinsame Sorgeerklärung für das ungeborene Kind ab (Urkundsregisternummer ...). Der erwartete Stichtag für die Geburt war der ... 2019.

Nachdem der Antragsteller von der Schwangerschaft der Kindesmutter erfahren hatte, forderte er die Kindesmutter mit anwaltlichem Schreiben vom 4. September 2019 auf, den genauen Stichtag für die Geburt mitzuteilen. Darüber hinaus bat er die Kindesmutter, an der Feststellung der Vaterschaft umfassend mitzuwirken. Die Kindesmutter äußerte sich auf dieses Schreiben nicht.

Am ... 2019 wurde das Kind A. geboren. In diesem Zeitpunkt lebte die Kindesmutter mit dem weiteren Beteiligten zu 3) in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen.

Nachdem der Antragsteller von der Geburt erfahren hatte, bat er die Kindesmutter mit weiterem anwaltlichen Schreiben vom 15. Oktober 2019 um Mitteilung bis zum 25. Oktober 2019, ob sie bereit sei, an der Durchführung eines Vaterschaftstests mitzuwirken. Auf dieses Schreiben hin teilte die Kindesmutter gegenüber der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers telefonisch mit, dass der weitere Beteiligte zu 3) als Vater in die Geburtsurkunde von A. eingetragen worden sei.

Daraufhin leitete der Antragsteller mit Antragsschrift vom 29. Oktober 2019 das vorliegende Verfahren ein und beantragte festzustellen, dass er der Vater des am ... 2019 geborenen Kindes A. ist. Er versicherte an Eides statt, der Kindesmutter in der Zeit vom 14. Dezember 2018 bis zum 16. Januar 2019 beigewohnt zu haben

Im Anhörungstermin vom 2. Dezember 2019 formulierte der Antragsteller seinen Antrag dahingehend um, dass er beantrage festzustellen, dass nicht der weitere Beteiligte zu 3) der Vater des Kindes A. ist, sondern er, der Antragsteller. Im Rahmen der Anhörung der Beteiligten erklärte der Antragsteller, dass der letzte Geschlechtsverkehr mit der Kindesmutter vor der Trennung am 13. Januar 2019 stattgefunden habe. Die Kindesmutter erklärte dagegen, dass es zwar noch zu Intimitäten, nicht jedoch zu Gesch...

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