Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung von Vorverfahrenskosten. Beratungshilfe. gesetzlicher Forderungsübergang auf den Rechtsanwalt. Zulässigkeit der Aufrechnung. Folgen des Fehlens einer § 126 Abs 2 S 1 ZPO vergleichbaren Regelung

 

Orientierungssatz

1. Eine Aufrechnung mit Ansprüchen gegen den Leistungsempfänger ist nach einem gesetzlichen Forderungsübergang des Kostenerstattungsanspruchs gem § 63 SGB 10 im Rahmen der Beratungshilfe nach § 9 S 2 BeratHiG auf den Rechtsanwalt zulässig (Zustimmung zu LSG Darmstadt vom 16.11.2018 - L 7 AS 330/17 = AGS 2019, 78).

2. Dabei ist dem Fehlen einer § 126 Abs 2 S 1 ZPO vergleichbaren Norm im Bereich der Beratungshilfe entscheidendes Gewicht beizumessen.

3. Diese Rechtslage hat allerdings zur Folge, dass der Rechtsuchende ohne sein Zutun von bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber dem aufrechnenden Leistungsträger befreit wird, während sein Anwalt für Forderungen des Leistungsträgers in Anspruch genommen wird, die ihm zunächst in keiner Weise zuzurechnen waren. Zudem mag die Zulässigkeit der Aufrechnung in Fällen wie dem vorliegenden zu dem rechtspolitisch ungewünschten Ergebnis führen, dass Rechtsanwälte versuchen könnten, die Vertretung Rechtsuchender unter Bewilligung von Beratungskostenhilfe zu vermeiden.

4. Diese Gesichtspunkte lassen es wünschenswert erscheinen, wenn der Gesetzgeber das Problem durch Schaffung einer dem § 126 Abs 2 S 1 ZPO vergleichbaren Vorschrift auch für den Bereich der Beratungshilfe lösen würde.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 18. Oktober 2016 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 199,61 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren nach Aufrechnungsentscheidungen des Beklagten.

Die 1967 geborene Frau P... T… (im Folgenden: T.) stand mit ihren beiden minderjährigen Kindern im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 27. Juli 2011 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 23. September sowie 22. und 26. November 2011 vorläufige Leistungen bewilligt hatte, forderte der Beklagte mit an T. adressiertem Bescheid vom 17. Januar 2012 die Erstattung eines Betrages von insgesamt 1.420,34 EUR von T. und ihren Kindern. Er führte zur Begründung aus, dass die nunmehr erfolgte endgültige Entscheidung über den Leistungsanspruch einen geringeren Anspruch auf Leistungen ergeben habe. Hiergegen erhoben T. und ihre Kinder mit anwaltlichem Schreiben der Rechtsanwälte ... Widerspruch und beantragten bei dem Amtsgericht Meldorf Beratungshilfe. Das Amtsgericht bat Frau Rechtsanwältin ... mit Schreiben vom 27. Januar 2012, hierauf unter Stellen des Vergütungsfestsetzungsantrags nach Abschluss der Angelegenheit zurück zu kommen. In Bezug auf den Bescheid vom 17. Januar 2012 hatte T. den Rechtsanwälten ... am 24. Januar 2012 eine Vollmacht erteilt, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Nach Erlass eines Änderungsbescheides vom 8. März 2012, der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens wurde, reduzierte der Beklagte die Erstattungsforderung mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2012 auf insgesamt 830,65 EUR. Hiervon entfielen 700,47 EUR auf T. und 74,26 bzw. 55,92 EUR auf ihre Kinder. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen zu 41,52 vom Hundert auf Antrag erstattet würden. Die Zuziehung des Bevollmächtigten werde als notwendig anerkannt. Hierauf forderten die Kläger des vorliegenden Rechtsstreits den Beklagten mit Schreiben vom 20. April 2012 unter Beifügung einer Kostenrechnung gleichen Datums auf, die entstandenen notwendigen Aufwendungen von insgesamt 480,76 EUR (Geschäftsgebühr, erhöht um 60 % wegen dreier Auftraggeber, zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale und MWSt) zu 41,52 % = 199,61 EUR zu erstatten. Gleichzeitig machten sie bei dem Amtsgericht Meldorf unter Hinweis auf diesen Erstattungsbetrag Beratungshilfe in Höhe von insgesamt 157,08 EUR (Geschäftsgebühr 112,00 EUR zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale nebst MWSt) geltend.

Mit Schreiben vom 29. Mai 2012 übersandte der Beklagte den hier klagenden Rechtsanwälten eine an T. adressierte Aufrechnungserklärung mit der Bitte um Kenntnisnahme und Weiterleitung an die Mandantin. In der an T. adressierten Aufrechnungserklärung heißt es, dass gegen sie noch eine Forderung wegen des Erstattungsbescheides vom 17. Januar 2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 8. März 2012 sowie des Widerspruchsbescheides vom 12. April 2012 in Höhe von 700,47 EUR bestehe. Den Anspruch der T. auf Kostenerstattung rechne der Beklagte nach § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gegen diese Forderung auf. Eine Auszahlung des ...

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