Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Disziplinarmaßnahme. Fortbestehen eines fristgerechten Antrags. Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten. fehlende Aufklärung über Nichtvorliegen von Behandlungsunterlagen. Reihenfolge der Anwendung einzelner Disziplinarmaßnahmen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wurde der Antrag einer KV auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens fristgerecht gestellt, so besteht diese Wirkung fort, wenn der Disziplinarausschuss den ursprünglichen Bescheid wegen formeller Fehler aufhebt. Die Neuentscheidung muss nicht innerhalb der Frist getroffen werden.

2. Die (neuere) Rechtsprechung des BSG zu §§ 45 Abs 4, 48 Abs 4 SGB 10 (vgl etwa BSG vom 27.7.1989 - 11 RAr 7/88 = SozR 4100 § 103 Nr 42) ist insoweit nicht einschlägig.

 

Orientierungssatz

1. Ein Vertragsarzt verstößt zumindest fahrlässig gegen seine vertragsärztlichen Pflichten, wenn er eine Kassenärztliche Vereinigung nicht darüber aufgeklärt hat, dass er Behandlungsunterlagen eines Patienten überhaupt nicht in seinem Besitz hatte.

2. Die in § 81 Abs 5 S 2 SGB 5 aufgezählten Disziplinarmaßnahmen - Verwarnung, Verweis, Geldbuße und Anordnung des Ruhens der Zulassung - stehen zwar nach dem Schweregrad in einem Stufenverhältnis zueinander. Das bedeutet aber nicht, dass sie etwa in dieser Reihenfolge angewendet werden müssen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.11.2002; Aktenzeichen B 6 KA 9/02 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 4. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten auch deren Kosten der zweiten Instanz zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme.

Der Kläger ist in K niedergelassener Arzt und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im April 1992 erhielt die Beklagte einen Brief von Wilfried F aus K, in dem dieser sich beschwerte, der Kläger übersende Krankenunterlagen von ihm nicht an seinen Arzt Dr. S. Die Beklagte schickte dem Kläger eine Ablichtung dieses Schreibens mit der Bitte um Stellungnahme. Im Mai 1992 bat Wilfried F die Beklagte um Mitteilung des Sachstandes, da seine Krankenunterlagen immer noch nicht bei dem neuen Arzt eingegangen seien. Daraufhin erinnerte die Beklagte den Kläger an seine Stellungnahme mit Schreiben vom 1. Juni 1992 und weiterem Schreiben vom 4. August 1992, letzteres verbunden mit Fristsetzung von einer Woche und Androhung von Disziplinarmaßnahmen. Hierauf reagierte der Kläger mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Justiziar der Beklagten vom 17. August 1992. Nach Meinung der Beklagten und der Ärztekammer sei er nicht verpflichtet, Unterlagen Dritter herauszugeben. Dies hätte die Beklagte dem Patienten auch mitteilen können. Mit Schreiben vom 28. September 1992 wies die Beklagte die Dienstaufsichtsbeschwerde zurück und den Kläger darauf hin, er sei auf Grund der Rechtsprechung zur Herausgabe der Unterlagen verpflichtet. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 5. Oktober 1992 "Klage und Antrag auf einstweilige Anordnung" beim Sozialgericht Kiel mit dem Antrag, die Krankenunterlagen nicht herausgeben zu müssen.

Mit Schreiben vom 28. Dezember 1992 beschwerte sich die AOK für den Kreis Schleswig-Flensburg über den Kläger, weil dieser Befundberichte nicht an den Medizinischen Dienst der Krankenkasse abgebe und dies auch ausdrücklich ablehne, weil er keine Kosten dafür erstattet bekomme. Hiervon übersandte die Beklagte dem Kläger eine Kopie mit Schreiben vom 7. Januar 1993, verwies auf § 29 Abs. 1 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä in der damaligen Fassung) und darauf, dass der Arzt gemäß § 53 Abs. 2 BMV-Ä verpflichtet sei, dem Medizinischen Dienst auf Anforderung für die Beratung und Begutachtung im Einzelfall Auskünfte zu erteilen. Nachdem sie keine Antwort erhalten hatte, setzte sie dem Kläger mit Schreiben vom 10. Februar 1993 eine Frist zur Stellungnahme von einer Woche, verbunden mit der Androhung von disziplinarischen Maßnahmen.

Mit Schreiben vom 10. März 1993 beantragte der Vorstand der Beklagten unter Bezugnahme auf seinen entsprechenden Beschluss vom 2. März 1993 beim Vorsitzenden des Disziplinarausschusses die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wegen des Verhaltens des Klägers betreffend den Versicherten F und die AOK. Hiergegen wandte sich der Kläger mit einem Schreiben vom 29. März 1993. Er sei von dem Kollegen S, dem neuen Arzt des Versicherten F, nicht zur Herausgabe der Unterlagen aufgefordert worden. Eine Erinnerung vom 10. Februar 1993 habe er nicht erhalten. Er habe dem MDK auf dem Fragebogen die notwendigen Auskünfte schriftlich erteilt. Der Vorsitzende des Disziplinarausschusses gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme (Einleitungsbeschluss vom 20. April 1993). Am 17. Juni 1993 beschloss der Disziplinarausschuss der Beklagten, dem Kläger einen Verweis zu erteilen. Der Beschluss wurde dem Kläger am 10. Dezember 1993 zugestellt. Auf die hiergegen beim Sozialgericht Kiel erhobene Klage hin erklärte der Prozessbevollmächtigte de...

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