Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Berufung. Beschränkung des Streitgegenstands. Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Zusammenleben mit der Mutter im gemeinsamen Haushalt. kein Anspruch auf Eckregelsatz des Haushaltsvorstandes. weder Bedarfsgemeinschaft noch gemischte Bedarfsgemeinschaft nach SGB 2. kein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. verfassungskonforme Auslegung

 

Orientierungssatz

1. Hat der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Kosten der Unterkunft, die Höhe des Regelsatzes und die Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung beschränkt, ist die Berufung unzulässig, soweit er eine Berücksichtigung der Beiträge für die Sterbe-, Haftpflicht-, Hausrats- und Kfz-Haftpflichtversicherung begehrt.

2. Ein Sozialhilfeempfänger, der mit seiner Mutter in einem gemeinsamen Haushalt lebt, hat keinen Anspruch auf den Eckregelsatz eines Haushaltsvorstandes gem § 42 S 1 Nr 1 SGB 12 sowie §§ 28, 40 SGB 12 iVm § 3 Abs 1 RSV. Haushaltsvorstand ist, wer die Generalunkosten des Haushalts trägt (vgl BSG vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 2/06 R = BSGE 99, 131 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1). Generalunkosten des Haushalts sind solche, die üblicherweise nur einmal anfallen. Zu diesen zählen zB die Kosten der Energieversorgung (vgl LSG Essen vom 6.12.2007 - L 9 SO 18/06), des Bezugs einer Tages- oder Wochenzeitung, des Rundfunkempfangs und des Telefonanschlusses. Die Berücksichtigung von besonderen Essgewohnheiten oder Notwendigkeiten einer gesonderten Nahrungszubereitung für eine Person in einer von mehreren Personen bewohnten Wohnung vermag weder dessen Stellung als Haushaltsvorstand zu belegen noch die Existenz eines eigenen Haushalts neben dem der Mutter zu begründen.

3. Ein Anspruch auf den Regelsatz eines Haushaltsvorstandes lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Urteils des BSG vom 19.5.2009 - B 8 SO 8/08 R begründen. Der Senat vermag dieser Rechtsprechung nicht zu folgen (entgegen BSG vom 19.5.2009 - B 8 SO 8/08 R = BSGE 103, 181). Auch wenn die Mutter des Hilfebedürftigen weder Leistungen nach dem SGB 12 noch Leistungen nach dem SGB 2 bezieht, also zwischen ihr und dem Hilfebedürftigen keine Bedarfsgemeinschaft oder gemischte Bedarfsgemeinschaft besteht, so ist sie allein aufgrund der faktischen Lebensverhältnisse als Haushaltsvorstand anzusehen. Es besteht kein sachlicher Grund gem Art 3 Abs 1 GG dafür, dass der Hilfebedürftige 100 vH des Eckregelsatzes erhält, während er - wenn seine Mutter Leistungsbezieherin nach dem SGB 2 wäre - nur 80 vH des Eckregelsatzes beanspruchen könnte. Ebenso wenig gibt es einen sachlichen Grund für einen höheren Leistungsanspruch im Verhältnis zu einem in Bedarfsgemeinschaft oder in gemischter Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehepaares, dessen Existenzminimum gem § 20 Abs 3 SGB 2 / § 3 Abs 3 RSV gedeckt wird.

4. Ein Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gem § 41 Abs 1 Nr 3 iVm § 30 Abs 5 SGB 12 kommt ebenfalls nicht in Betracht. Eine entsprechende Regelung ist in § 21 Abs 5 SGB 2 enthalten. Bei dem Begriff der "angemessenen Höhe" des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB 2 handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt. Bei der Ausfüllung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ist es rechtsfehlerfrei, sich an den Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe zu orientieren (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 2). Allerdings kommt ihnen keine normative Wirkung zu. Insbesondere handelt es sich bei den Empfehlungen nicht um antizipierte Sachverständigengutachten, sondern allenfalls um in der Verwaltungspraxis etablierte generelle Orientierungshilfen. Durch diese Empfehlungen wird die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, die Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts von Amts wegen aufzuklären (§ 20 SGB 10 bzw § 103 SGG), nicht aufgehoben. Diese Grundsätze, die das BSG für § 21 Abs 5 SGB 2 aufgestellt hat, können auf § 30 Abs 5 SGB 12 übertragen werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 09.06.2011; Aktenzeichen B 8 SO 11/10 R)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Ansprüche des Klägers auf Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der am 1982 geborene Kläger ist von Geburt an schwerbehindert. Er verfügt über einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und den Merkzeichen "G", "B" und "H". Mit seiner 1957 geborenen Mutter, die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem Sech...

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