Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordnungsmittel wegen Ungebühr. Protokollierungspflicht des Gerichts

 

Orientierungssatz

Sinn des § 182 GVG ist es, den gesamten Geschehensablauf, der zu dem Beschluss geführt hat, unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschehens von dem Vorsitzenden so konkret wie möglich schriftlich niederlegen zu lassen, um dem Beschwerdegericht ein möglichst objektives, von Erinnerungsfehlern freies und so umfassendes Bild des Vorgangs zu geben, dass es Grund und Höhe der Festsetzung des Ordnungsmittels regelmäßig ohne weitere Ermittlungen nachprüfen kann (vgl OLG Karlsruhe vom 14.2.1997 - 14 W 1/97 = NJW-RR 1998, 144).

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 14.12.2005 aufgehoben.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Beschwerdeverfahren werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes wegen Ungebühr.

Im Ausgangsverfahren, das zwischenzeitlich durch Klagerücknahme erledigt ist, begehrte der Beschwerdeführer eine günstigere Festsetzung von Krankenversicherungsbeiträgen durch die beklagte Deutsche Angestelltenkrankenkasse.

Die Vorsitzende der 13. Kammer des Sozialgerichts Leipzig (SG) beraumte für den 14.12.2005 einen Erörterungs- und Beweisaufnahmetermin an, in dem die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin vernommen wurde.

In der Niederschrift zu diesem Termin ist u.a. vermerkt:

“(...) Die Zeugin wird vernommen. (...)

Es ergeht folgender Beschluss:

Dem Kläger wird wegen Ungebühr ein Ordnungsgeld von 200,00 € auferlegt.

Der Kläger verlässt um 13.15 Uhr die Sitzung. (...)„

Der dem Beschwerdeführer am 09.01.2006 zugestellte Beschluss ist damit begründet, dass der Beschwerdeführer die Vernehmung der Zeugin im Beweisaufnahmetermin durch Zwischenrufe gestört und die Zeugin dadurch verunsichert habe. Von diesem Verhalten sei der Beschwerdeführer auch nicht durch die Androhung eines Ordnungsgeldes abzubringen gewesen. Ungebühr könne sich auch als Verstoß gegen die zur sachgerechten Durchführung der Verhandlung notwendige Ordnung darstellen. Diese bestehe auch in der Schaffung einer Atmosphäre der Sachlichkeit, die dem Ernst der Rechtsprechung gerecht werde. Ungebühr sei auch das Dazwischenreden außerhalb des verfahrensrechtlichen Fragerechts. Dem Beschwerdeführer sei daher zur Aufrechterhaltung der notwendigen Ordnung ein Ordnungsgeld aufzuerlegen gewesen.

Hiergegen richtet sich die am 13.01.2006 bei dem SG eingegangene Beschwerde. Der Beschwerdeführer führt im Wesentlichen aus, die Verhandlung habe sich als Farce gestaltet, da die Richterin ausschließlich der Argumentation der Beklagten gefolgt sei. Die Zeugin sei durch ihn nicht verunsichert worden. Sie habe bereitwillig Auskunft gegeben. Er selbst sei in der Verhandlung nicht befragt worden. Anhand seines Lohnstreifens, der dem SG vorliege, könne man ersehen, dass er mit einem Bruttolohn von monatlich 500 € auskommen müsse. Es sei ihm daher unmöglich, den Forderungen nachzukommen.

Das SG hat der Beschwerde am 17.01.2006 nicht abgeholfen und sie dem Sächsischen Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in beiden Rechtszügen Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Es kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsmittels im Sinne von § 178 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) gegen den Beschwerdeführer im Termin am 14.12.2005 vorlagen (dazu unten 1.), denn die Protokollierung entspricht nicht den Anforderungen des § 182 GVG (dazu unten 2).

1. Sollte der Kläger sich so verhalten haben, wie in dem Beschluss vom 14.12.2005 ausgeführt - wofür unter Berücksichtigung des Verhaltens des Beschwerdeführers anlässlich eines mit der Geschäftsstelle des SG am 09.11.2004 geführten Telefonats viel spricht -, hätte er sich einer Ungebühr im Sinne des § 178 GVG schuldig gemacht. Denn die Störung der Gerichtsverhandlung durch Zwischenrufe und die Verunsicherung der Zeugin stellt, insbesondere wenn sie trotz Ermahnung durch die Vorsitzende fortgesetzt wird, ein ungebührliches Verhalten dar. Ungebühr ist beispielsweise die Verletzung der dem Gericht geschuldeten Achtung und der Verstoß gegen die Regeln über den ordnungsgemäßen Ablauf der Verhandlung (Kissel, GVG, 3. Aufl. 2001, § 178 Rn. 6 m. w. N.).

Der Senat sieht in dem Verhalten des Klägers - wenn es sich so zugetragen hat, wie in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt - ohne Weiteres einen Verstoß in dem genannten Sinne und damit eine Ungebühr gemäß § 178 GVG. Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Beschwerdeführer hätten in diesem Falle vorgelegen.

2. Allerdings verlangt § 182 GVG, dass der Beschluss des Gerichts und dessen Veranlassung in das Protokoll aufzunehmen sind. Sinn dieser Vorschrift ist es, den gesamten Geschehensablauf, der zu dem Beschluss geführt hat, unter dem unmittelbaren frischen Eindruck des Geschehens von de...

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