Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Ordnungsbeschluss. Anforderungen an die Protokollierung. Aufklärung durch das Beschwerdegericht. Rechtsfolge unzureichender Protokollierung. rechtliches Gehör. Nachholung der Anhörung. Begriff der Sitzung iSd § 178 Abs 1 S 1 GVG. Kostentragung. fehlerhafte Sachbehandlung durch das Gericht. Veranlassung des Ordnungsmittels. Ungebühr. Rechtsstaatsprinzip. Kostenschuldner

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Beschlussbegründung und die Beschreibung des die Verhängung des Ordnungsmittels auslösenden Verhaltens sind im Protokoll inhaltlich voneinander zu trennen.

2. Eine nachträgliche Ergänzung des Protokollierten ist nicht zulässig. Die fehlende Darstellung der Veranlassung des Ordnungsmittels kann auch nicht durch nachträglich abgegebene dienstliche Erklärungen des Vorsitzenden, des Protokollführers oder anderer Verfahrensbeteiligter ersetzt werden.

3. Die gesetzlich normierte Protokollierungspflicht schließt weitere Aufklärungsmaßnahmen des Beschwerdegerichtes aus.

4. Der in das Protokoll aufzunehmende Ordnungsgeldbeschluss umfasst nicht nur den Beschlusstenor, sondern den gesamten Wortlaut des Beschlusses einschließlich der Begründung.

5. Die Rechtsfolge einer fehlenden oder unzureichenden Protokollierung ist grundsätzlich die Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses.

6. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gilt auch im Ordnungsgeldverfahren.

7. In das Protokoll ist als wesentlicher Vorgang der Verhandlung die Anhörung oder der Grund, weshalb von einer Anhörung abgesehen wurde, aufzunehmen.

8. Eine unterbliebene Anhörung kann im Beschwerdeverfahren nicht mehr nachgeholt werden.

9. Zum Begriff der Sitzung in § 178 Abs 1 Satz 1 GVG.

10. Die außergerichtlichen Kosten des im Beschwerdeverfahren obsiegenden Klägers in dem (vorliegend) gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahren sind von der Staatskasse zu tragen.

 

Normenkette

GVG § 178 Abs. 1, §§ 182, 176; SGG § 61 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichtes Chemnitz vom 28. August 2014 aufgehoben.

II. Die Staatskasse hat dem Kläger die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Chemnitz vom 28. August 2014, mit dem gegen ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 EUR verhängt worden ist.

Der Kläger hat am 18. Juni 2014 beim Sozialgericht Chemnitz zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zwei Klagen erhoben. Zu der unter dem Az. S 3 AS 2590/14 geführten Klage ist die Eingangsverfügung am 20. Juni 2014 gefertigt worden.

Am 28. August 2014 hat in diesem Klageverfahren, das in der Sache die Höhe der anzuerkennenden Kosten für Unterkunft und Heizung betroffen hat, ein Erörterungstermin stattgefunden, an dem der Kläger, dessen persönliches Erscheinen angeordnet gewesen ist, teilgenommen hat. Den Kammervorsitz hatte eine Richterin auf Probe inne. Ausweislich der zu diesem Termin gefertigten Niederschrift hat der Termin um 9.42 Uhr begonnen. Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage hat die Kammervorsitzende durch Beschluss den Termin zur mündlichen Verhandlung verkündet. Der Erörterungstermin ist sodann um 9.54 Uhr geschlossen worden. Um 10.03 Uhr ist der Erörterungstermin nochmals eröffnet worden. Ausweislich des Protokolls hat der Kläger geäußert, dass die Vorsitzende keine Ahnung habe. Daraufhin hat die Kammervorsitzende den angefochtenen Ordnungsgeldbeschluss verkündet. In das Sitzungsprotokoll ist der Tenor des Beschlusses aufgenommen. Der Erörterungstermin ist schließlich um 10.04 Uhr zum zweiten Mal und nunmehr endgültig geschlossen worden.

Betreffend die zweite Klage hat die Kammervorsitzende unter dem die erste Klage betreffenden Az. S 3 AS 2590/14 am 28. August 2014 verfügt, dass für diese ein neues Aktenzeichen zu vergeben ist. Diese Klage ist sodann unter dem Az. S 3 AS 3740/14 geführt worden.

Zu den Vorkommnissen im Erörterungstermin ist in der Sachverhaltsdarstellung des schriftlich abgefassten Ordnungsgeldbeschlusses festgestellt:

"Im Termin sprach der Kläger die Vorsitzende mit 'Junge Frau oder Richterin' an. Er gab hierzu ergänzend an, dass er ja schließlich nicht wisse, wer am Richtertisch vor ihm in Robe sitze. Im Weiteren äußerte der Kläger bereits nach Beendigung des Termins, dass die Vorsitzende lebensfremd wäre. Er wisse gar nicht, wieso er überhaupt kommen müsse, wenn ohnehin nochmals eine mündliche Verhandlung stattfinde. Er wünsche auch eine Verhandlung mit den ehrenamtlichen Richtern, auch in einem weiteren anhängigen Verfahren. Er gab insofern weiter an, dass die Vorsitzende keine Ahnung habe."

In der Begründung des Ordnungsgeldbeschlusses ist unter anderem ausgeführt:

"Der Kläger gab bekannt, dass er nicht wisse, wer die Vorsitzende sei. Auch gab er offenkundig seine Missbilligung der Vorsitzenden kund, indem er angab, die nächsten Termine nur mit ehrenamtlichen Richtern durchführen zu wollen, da die Vorsitzende keine Ahnung habe. Der Kläge...

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