Entscheidungsstichwort (Thema)

Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Vertrauenstatbestand in tarifliche Eingruppierung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es kann gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, wenn sich der Arbeitgeber auf eine Fehlerhaftigkeit der bisherigen tariflichen Bewertung beruft. Ein solches Verhalten ist als rechtsmissbräuchlich anzusehen, wenn besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Insbesondere kann ein Vertrauenstatbestand in Fällen vorliegen, in denen der Entscheidung zur Rückgruppierung eine Höhergruppierung vorausgegangen ist.

2. Bescheinigt der Arbeitgeber bei der Mitteilung einer rückwirkenden Höhergruppierung, dass es sich um eine „abschließende“ Mitteilung handelt, begründet dies ein berechtigtes Vertrauen des Arbeitnehmers darin, dass der Arbeitgeber ihn bei einer unveränderten Beschäftigung fortdauernd mit der Entgeltgruppe 9b TVöD-VKA vergüten würde.

 

Normenkette

TVöD BT-K § 12; BGB § 242; TVÜ-VKA §§ 29a, 29b

 

Verfahrensgang

ArbG Dresden (Entscheidung vom 20.01.2021; Aktenzeichen 11 Ca 967/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 13.12.2023; Aktenzeichen 4 AZR 322/22)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 20.01.2021 - 11 Ca 967/20 - abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin für die Zeit ab dem 01.07.2019 weiterhin nach der Entgeltgruppe 9b Stufe 3 TVöD-VKA zu vergüten.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

Die beklagte L betreibt das Städtische Klinikum D als einen Eigenbetrieb. Die Klägerin, die über einen Abschluss als staatlich anerkannte Ergotherapeutin verfügt, ist seit 16.02.2016 in den Kliniken der Neurologie und Akutgeriatrie am Standort D des Eigenbetriebs als Ergotherapeutin beschäftigt. Die Beschäftigung erfolgte zunächst auf der Basis eines befristeten Arbeitsvertrages vom 18.01./22.01.2016 (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 18.05.2020; Bl. 28 d. A. 1. Instanz), nach dessen § 4 Satz 1 die Klägerin „derzeit in der Entgeltgruppe E 8 eingruppiert“ war. Ab dem 07.12.2017 erfolgte die unveränderte Beschäftigung als Ergotherapeutin unbefristet auf der Basis des Arbeitsvertrages vom 17.11.2017 (Anlage K 1 zur Klageschrift vom 16.04.2020; Bl. 5 ff. d. A. 1. Instanz) mit einer durchschnittlichen regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 30 Stunden. Der Arbeitsvertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen:

§ 3

1. Auf das Arbeitsverhältnis ist für die Dauer der Mitgliedschaft des Arbeitgebers im kommunalen Arbeitgeberverband (VKA) der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-K) vom 01. August 2006 in der Fassung der Änderungsvereinbarung Nr. 7 vom 29. April 2016 anzuwenden.

Tarifverträge, die den TVöD in seiner Fassung vom 29. April 2016 ändern, ergänzen oder ersetzen, finden Anwendung, wenn der Arbeitgeber diesen zustimmt. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn der Arbeitgeber innerhalb eines Monats nach deren Inkrafttreten nicht schriftlich widerspricht.

2. (...)

§ 4

Die/Der Beschäftigte wird in die Entgeltgruppe 8* eingruppiert (§ 12 TVöD-VKA).

(...)

*Diese Mitteilung dient Ihrer Information und begründet keine eigenen Entgeltansprüche. Sie steht unter dem Vorbehalt der Überprüfung. Sowohl die Ihnen mitgeteilte Entgeltgruppe als auch sonstige Entgeltbestandteile des TVöD-K/VKA können sich ändern.

In der Folge eines Antrages der Klägerin vom 18.12.2017 auf Überprüfung ihrer Eingruppierung teilte der Eigenbetrieb der Klägerin mit Schreiben vom 01.02.2018 (Anlage K 2 zur Klageschrift vom 16.04.2020; Bl. 10 d. A. 1. Instanz) u.a. Folgendes mit:

„(...) Unter Einbeziehung und umfassender Prüfung der aktuellen Stellenbeschreibung, der von Ihnen ausgeübten Tätigkeit als Ergotherapeutin sowie der seit 01.01.2017 gültigen Entgeltordnung, insbesondere Teil B Abschnitt XI, Punkt 6 teilen wir Ihnen abschließend mit, dass Sie rückwirkend ab dem 01.01.2017 in die Entgeltgruppe EG 9b Stufe 2 einzugruppieren sind. (...)“

Des Weiteren unterzeichneten die Parteien unter dem 01.02./02.02.2018 einen „Änderungsvertrag“ (Anlage K 3 zur Klageschrift vom 16.04.2020, Bl. 11 ff. d. A. 1. Instanz), unter dessen § 2 Folgendes bestimmt ist:

„In § 4 des Arbeitsvertrages gültig ab 07.12.2017 werden die Worte Entgeltgruppe 8 durch die Worte Entgeltgruppe 9b ersetzt.“

In der Folge vergütete der Beklagte die Klägerin bei unveränderter Tätigkeit nach der Entgeltgruppe 9b TVöD-VKA, zuletzt aus der Stufe 3. Mit E-Mail vom 15.11.2019 (Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 18.05.2020; Bl. 32 d. A. 1. Instanz) informierte die Beklagte die Klägerin über eine korrigierende Rückgruppierung in die Entgeltgruppe 9a Stufe 3 TVöD-VKA...

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