Leitsatz

Für den Beginn der Rücktrittsfrist genügt die Kenntnis des Mitarbeiters des Versicherers, zu dessen Aufgaben es gehört, den Tatbestand der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit festzustellen. Wann ein anderer mit der endgültigen Prüfung und Entscheidung über den Rücktritt beauftragter Mitarbeiter Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung erlangt, ist unerheblich.

Eine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen für Erklärungen zu treffen, besteht grundsätzlich nicht. Für die Anwendung des § 242 BGB im Rahmen des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB ist deshalb mehr erforderlich als nur ein objektives Zugangshindernis im Bereich des Empfängers. Solche zusätzlichen Umstände sind gegeben, wenn der Empfänger den Zugang bewusst vereitelt oder verzögert oder wenn er mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechnen muss und nicht dafür sorgt, dass diese ihn erreichen.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 1 VVG, § 130 Abs. 1 BGB, § 160 Abs. 1 BGB, § 242 BGB

 

Sachverhalt

Der Kl. schloss mit der Beklagten einen Krankenversicherungsvertrag für seine Ehefrau ab. Der Versicherungsvertrag war an die Hauptverwaltung der Bekl. adressiert, die auch den Versicherungsschein vom 17.12.1991 ausstellte. Wegen verschwiegener Vorerkrankungen hat die Bekl. mit Schreiben der Hauptverwaltung vom 23.3.1993 gem. § 16 ff. VVG den Rücktritt erklärt. Die Voraussetzungen für den Rücktritt waren gegeben. Die Parteien stritten nur darüber, ob er fristgemäß erklärt worden ist. Der Kl. hatte bei der für die Bearbeitung von Leistungsanträgen zuständigen Bezirksdirektion seine Ehefrau betreffende Rechnungen eingereicht. Die Bezirksdirektion fragte bei dem behandelnden Arzt nach; dessen Auskunft vom 23.2.1993 mit beigefügtem Krankenhausbericht ging bei ihr am 26.2.1993 ein. Wegen der sich daraus ergebenden Vorerkrankungen erstattete die Bezirksdirektion daraufhin am selben Tage an die Hauptverwaltung mit einem dafür vorgesehenen Formular eine "Meldung von verschwiegenen Vorerkrankungen", die dort am Montag, dem 1.3.1993, vorlag. Die per Einschreiben an die Wohnanschrift versandte Rücktrittserklärung der Hauptverwaltung vom 23.3.1993 ging aufgrund eines Nachsendeauftrags des urlaubsabwesenden Kl. am 30.3.1993 in seinem Büro ein. Am 26.3.1993 war im Wohnungsbriefkasten ein Benachrichtigungszettel hinterlassen worden.

Nach der Entscheidung des BGH ist der Rücktritt nicht rechtzeitig erklärt worden.

 

Entscheidung

Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass die Frist erst am 1.3.1993 in Gang gesetzt worden ist, weil erst an diesem Tag die für die Entscheidung über den Rücktritt zuständige Hauptverwaltung von den verschwiegenen Vorerkrankungen erfahren habe. Für den Fristbeginn komme es auf die Kenntnis der für die Rücktrittsentscheidung zuständigen Stelle an. Das sei nach dem Vortrag der Bekl. die Hauptverwaltung. Diese habe seinerzeit über die Vertragsannahme entschieden und auch den Rücktritt vom Vertrag erklärt.

Dem ist der BGH nicht gefolgt; für den Fristbeginn komme es hier auf die Kenntnis der Bezirksdirektion an. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 20 Abs. 1 VVG komme es auf die Kenntnis der Verletzung der Anzeigepflicht an, also auf die Feststellung des Tatbestands. Dies entspreche auch dem Zwecke der Vorschrift, dass zwischen den Vertragsparteien alsbald Klarheit bestehen soll, ob ein durch Obliegenheitsverletzung des VN belastetes Versicherungsverhältnis weiter aufrechterhalten wird oder nicht. Für den Fristbeginn sei es deshalb unerheblich, wann nach der Feststellung des Tatbestands durch die damit beauftragte Stelle eine andere, für die endgültige Prüfung und Entscheidung zuständige Person Kenntnis von der Obliegenheitsverletzung erlangt. Zur endgültigen Prüfung und Entscheidung stelle das Gesetz eine ausreichende Frist zur Verfügung.

Für den Fristbeginn sei die Kenntnis der Bezirksdirektion der Bekl. maßgebend. Diese sei nicht nur für die Bearbeitung der Leistungsanträge zuständig, sondern auch damit betraut, bei einem Verdacht auf Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit Ermittlungen vorzunehmen, den Tatbestand festzustellen und die Hauptverwaltung hierüber zu unterrichten. Dies hätten die Mitarbeiter der Bezirksdirektion getan. Den Feststellungen der Bezirksdirektion entsprechend habe die Hauptverwaltung den Rücktritt auf die verschwiegenen Vorerkrankungen gestützt.

Die Rücktrittserklärung sei dem Bekl. erst nach dem 26.3.1993 und damit verspätet zugegangen. Es sei ihm auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Verspätung zu berufen.

Das Berufungsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass der Einschreibebrief dem Kl. erst am 30.3.1993 in seinem Büro zugegangen ist und der am 26.3.1993 in den Wohnungsbriefkasten eingeworfene Benachrichtigungszettel den Zugang nicht ersetzt hat. Das Berufungsgericht habe weiter angenommen, der Kl. müsse sich nicht nach § 242 BGB so behandeln lassen, als sei ihm die Rücktrittserklärung bereits am 26.3.1993 zugegangen. Er habe den Zugang nicht vereitelt, insbesondere nicht mit ein...

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