Das Wichtigste in Kürze:

1. Die Regelung über eine reduzierte Besetzung der großen Strafkammern/Jugendkammern ist in § 76 GVG enthalten.
2. Die Fragen können auch noch in der Hauptverhandlung/im gerichtlichen Verfahren eine Rolle spielen.
3. Nach den § 76 Abs. 25 GVG, § 33b Abs. 26 JGG gilt grds. die Zweierbesetzung.
4. Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 1 der Vorschriften §§ 76 GVG, 33b JGG ist die Dreier-Besetzung zwingend, wenn die Straf-/Jugendkammer als Schwurgericht zuständig ist.
5. Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 2 der Vorschriften § 76 GVG, § 33b JGG ist die Dreier-Besetzung ebenfalls zwingend, wenn freiheitsentziehende Maßregeln der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten sind.
6. Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 3 der Vorschriften der § 76 GVG, § 33b JGG ist die Dreier-Besetzung der Straf-/Jugendkammer zwingend, wenn nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint.
7. Für die Praxis des Verteidigers von besonderer Bedeutung sind die mit der Nachholbarkeit der Besetzungsentscheidung, wenn eine Entscheidung fehlt, die mit ihrer Anfechtung und die einer ggf. zulässigen nachträglichen Abänderung zusammenhängenden Fragen.
 

Rdn 2635

 

Literaturhinweise:

Deutscher, Die Zweier-Besetzung in der Hauptverhandlung als dauerhafter Regelfall – Zur Neuregelung der § 76 GVG, § 33b JGG, StRR 2012, 10

Haller/Janßen, Die Besetzungsreduktion bei erstinstanzlichen Strafkammern – Anmerkungen zu den Beschlüssen des BGH vom 14.08. und 16.12.2003, NStZ 2004, 469

Meyer-Goßner, Die Chance nutzen: Gerichtsaufbau in Strafsachen, ZRP 2011, 129

Schlothauer, Die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung, StV 2012, 749

Theile, Gesetzlicher Richter und Wirtschaftsstrafsachen, StV 2019, 763

Weber, Bedeutsamkeit des Umfangs der Sache im Sinne des § 76 Abs. 2 GVG, JR 2004, 172

s.a. die Hinw. bei → Besetzungseinwand, Teil B Rdn 931.

 

Rdn 2636

1.a) Die Regelung über eine reduzierte Besetzung der großen Strafkammern/Jugendkammern ist in § 76 GVG enthalten. Bis zum 1.3.1993 war in § 76 GVG a.F. für Strafkammern (im Folgenden kurz: StK) für die HV uneingeschränkt die sog. Dreier-Besetzung vorgesehen. Durch das RPflEntlG vom 11.1.1993 war § 76 Abs. 2 a.F. GVG dann, um einem durch die Wiedervereinigung bedingten Personalengpass im Richterbereich entgegenzuwirken, dahin geändert worden, dass die große StK bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Besetzung in der HV mit zwei Berufsrichtern einschließlich Vorsitzendem beschließt, wenn nicht die StK als Schwurgericht zuständig war oder nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint. Eine entsprechende Regelung wurde für die Jugendkammern in § 33b Abs. 2 JGG eingeführt. Diese (zunächst) zeitlich befristete Regelung ist in der Folgezeit immer wieder verlängert worden. In Zusammenhang mit der letzten Verlängerung der durch das RPflEntlG vom 11.1.1993 vorgesehenen Übergangsregelung war im Hinblick auf die Anwendungspraxis der Besetzungsreduktion durch die Praxis eine umfassende Evaluierung angekündigt worden (vgl. BT-Drucks 16/10570, S. 3).

 

Rdn 2637

b) Die gemäß dieser Ankündigung in Auftrag gegebenen Gutachten (vgl. u.a. Gutachten der Großen Strafrechtskommission des DRB: Besetzungsreduktion bei der Großen Strafkammer [§ 76 Abs. 2 GVG, § 33b Abs. 2 JGG], 2009, S. 91, http://www.bmj.de; nachfolgend: Gutachten) haben dann zu einer gesetzlichen Neuregelung des § 76 Abs. 2 a.F. GVG für das allgemeine Strafverfahren und des § 33b a.F. JGG für das JGG-Verfahren geführt. Durch das "Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der HV und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des BundesdisziplinarG" v. 6.12.2011 sind nämlich diese Vorschriften grundlegend und unbefristet geändert worden. Danach ist nun die Praxis der StK bei den LG, die schon in der Vergangenheit mit steigender Tendenz die Mehrzahl der Verfahren in Zweier-Besetzung verhandelt hat (zum Zahlenmaterial Haller/Janßen NStZ 2004, 470; dazu auch BGHSt 44, 328; zuletzt zur "Altregelung" u.a. BGH NJW 2010, 3045, 3047), Gesetz geworden. § 76 Abs. 2 GVG sieht nämlich – nun ohne zeitliche Befristung – die Zweier-Besetzung der StK als Regelfall vor. Die Vorschrift des § 122 GVG, der die Besetzung des erstinstanzlich tätig werdenden OLG-Senats regelt, hat man allerdings nicht geändert.

 

Rdn 2638

2.a) Da die StK grds. im Eröffnungsbeschluss über die Besetzung der Kammer in der HV zu entscheiden hat, spielen die mit der reduzierten Besetzung zusammenhängenden Fragen an sich im EV eine größere Rolle. Da sich aber auch noch im zeitlichen Bereich der HV die "Besetzungsfrage" stellen kann, z.B. nach Aussetzung der HV (dazu Teil R Rdn 2659), sollen die (Neu-)Regelungen in § 76 GVG bzw. § 33b JGG aber auch hier dargestellt werden (eingehend Deutscher StRR 2012, 10 ff; Schlothauer StV 2012. 749 ff.; s. i.Ü. den Gesetzesvors...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge