Rn 13

Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Hersteller das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat, § 1 II Nr 1. Das Inverkehrbringen des Produkts als Schlüsselbegriff von § 1 II Nr 1, 2, 4 u 5 wird im ProdHaftG wie in der RL nicht definiert. Der deutsche Gesetzgeber ging davon aus, dass ein Inverkehrbringen vorliege, wenn das Produkt in die Verteilungskette gegeben werde, wenn es also der Hersteller aufgrund seines Willensentschlusses einer anderen Person außerhalb seiner Herstellersphäre übergeben habe (BTDrs 11/2447, 14; s.a. Stuttg VersR 01, 465, 467; ausf Ehring in Ehring/Taeger Produkthaftungs- und Produktsicherheitsrecht 22 § 1 ProdHaftG Rz 47 ff). Die Haftung entfällt also insb bei Entziehung des Produkts ohne Willen des Herstellers. Der EuGH hat klargestellt, dass ein Verlassen der Herstellersphäre nicht erforderlich ist, wenn sich der spätere Geschädigte selbst in diese Sphäre begibt und das Produkt dort verwendet wird (EuGH Slg 01, I-3569 Rz 17 f); zur Interpretation bei § 13 s.u. § 13 Rn 1. Str ist, ob auch die Verwendung eines zur Erbringung einer Dienstleistung hergestellten Produkts als Inverkehrbringen anzusehen ist (dafür EuGH aaO; für den konkreten Fall zust Taschner PHI 04, 13, 15 mit überzeugenden Argumenten; dagegen Geiger EuZW 01, 381, 382).– Die Entlastungsmöglichkeit nach § 1 II Nr 1 steht Herstellern iSd § 4 I offen; für Importeure dürfte sie selten (in Bezug auf eine Entziehung beim Hersteller), für Lieferanten praktisch gar nicht in Betracht kommen (vgl BTDrs 11/2447, 14).

 

Rn 14

Die Ersatzpflicht entfällt auch, wenn das Produkt im Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch den Hersteller noch fehlerfrei war, § 1 II Nr 2. Diese Regelung bezieht sich in erster Linie auf Fabrikationsfehler, denn Konstruktions- und Instruktionsfehler haften dem Produkt regelmäßig bereits im Zeitpunkt des Inverkehrbringens an, so dass hier allenfalls der Haftungsausschluss nach § 1 II Nr 5 greifen kann. § 1 II Nr 2 kommt va in Betracht, wenn Qualitäts-, Eingangs- und insb Ausgangskontrollen sorgfältig dokumentiert werden (Ddorf NJW-RR 01, 458, 459 [OLG Düsseldorf 22.09.2000 - 22 U 208/99]; Grenzen: München BeckRS 11, 10312, krit Herrmann/Schulz PHI 12, 15, 17). Der Begriff des Inverkehrbringens entspricht hier demjenigen in § 1 II Nr 1 (s.o. Rn 13), der Fehlerbegriff iSd § 3 bedarf jedoch nach überzeugender Ansicht einer Modifikation: Der Anspruchsteller hat darzulegen und zu beweisen, dass das Produkt eine Beschaffenheit aufweist, die unter der Voraussetzung ihres Vorliegens bei Inverkehrgabe einen Fehler darstellen würde, und der Hersteller hat nachzuweisen, dass nach den Umständen anzunehmen ist, dass diese Beschaffenheit im Zeitpunkt des Inverkehrbringens dem Produkt noch nicht anhaftete (Soergel/Krause § 1 Rz 10). Dabei kann nach dem Wortlaut des § 1 II Nr 2 für die Entlastung des Herstellers – in Modifikation der allgemeinen Beweisregeln – bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fehlerfreiheit im Zeitpunkt des Inverkehrbringens genügen (s insb BTDrs 11/2447, 14; Ddorf NJW-RR 01, 458, 459 [OLG Düsseldorf 22.09.2000 - 22 U 208/99]; München OLGR 03, 4; BeckRS 11, 10312; Staud/Oechsler § 1 Rz 72 ff mwN; MüKo/Wagner § 1 Rz 38; Soergel/Krause § 1 Rz 10; Erman/Wilhelmi § 1 Rz 7). Problematisch ist das Entfallen der Ersatzpflicht bei autonomen Systemen, die sich selbst weiterentwickeln und dadurch erst nach dem Inverkehrbringen (und nicht durch einen Programmfehler, dazu etwa Ringlage Haftungskonzepte für autonomes Fahren – ›ePerson‹ und ›RmbH‹? 21, 94) fehlerhaft werden. Will man nicht bereits die Möglichkeit der Weiterentwicklung als Fehler ansehen (in diese Richtung wohl Mühlböck/Taupitz AcP 2021 179, 192; Xylander Die Verantwortlichkeit des Herstellers automatisierter Pkw nach Deliktsrecht sowie nach dem Produkthaftungsgesetz 21, 210; Rosenberger Die außervertragliche Haftung für automatisierte Fahrzeuge 22, 390 f) oder jede Weiterentwicklung als erneutes Inverkehrbringen interpretieren (in diese Richtung zB Martin/Uhl RAW 20, 7, 12), was beides mit Blick auf Gesetzeswortlaut und -systematik problematisch ist, dürfte hier de lege lata regelmäßig eine Haftung nach dem ProdHaftG ausscheiden (s.a. Haagen Verantwortlichkeit für Künstliche Intelligenz 21, 320). De lege ferenda müsste über eine Modifikation von § 1 II Nr 2 mit Blick auf Künstliche Intelligenz zumindest nachgedacht werden (s.a. KOM [20] 64 endg 19; weiterhin zB Seehafer/Kohler EuZW 20, 213, 215; ähnl Patti FS R Schulze 107, 121 f; im aktuellen Regelungsvorschlag wird die Haftungseinschränkung in Art 10 I lit c der Sache nach beibehalten, COM [22] 495 final).

 

Rn 15

§ 1 II Nr 3 schließt die Ersatzpflicht aus, wenn das Produkt weder zu wirtschaftlichen Zwecken hergestellt noch zu beruflichen Zwecken hergestellt oder vertrieben wurde. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (s.a. Hamm AUR 17, 143, 144). Die Herstellung zu wirtschaftlichen Zwecken umfasst neben dem Verkauf andere entgeltliche Vertriebsformen wie Miete oder Leasing (...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge