A. Überblick: Bedeutung, Grenzen und Spaltung des Internationalen Gesellschaftsrechts.

I. Einführung.

 

Rn 1

Das IntGesR ist für die Lösung von Fällen mit Auslandsbezug von zentraler Bedeutung: An internationalen wirtschaftsrechtlichen Transaktionen und Prozessen sind häufig Gesellschaften aus unterschiedlichen Staaten beteiligt. Selbst wenn der Schwerpunkt eines Falles nicht im Gesellschaftsrecht sondern zB im Schuldrecht liegt, sind wesentliche gesellschaftsrechtlich zu qualifizierende Vorfragen zu lösen, zB nach der Rechtsfähigkeit oder der Vertretungsmacht der Organe (Anknüpfungsgegenstand). Zur Lösung dieser Fragen bestimmt das Internationale Gesellschaftsrecht das anwendbare Recht. Dabei gilt grds ein Recht für alle gesellschaftsrechtlichen Fragen (Einheitslehre, s Rn 9 f). Das deutsche IntGesR ist nach Art 1 II lit f, lit g ROM I vom Anwendungsbereich der ROM I ausgeschlossen und bisher auch nicht anderenorts kodifiziert (s Rn 5).

 

Rn 2

Bisher arbeitet das deutsche IntGesR mit zwei Anknüpfungspunkten. Entweder knüpft es (1) an das Recht der Gründung an: vorbehaltlich einer meist ausgeschlossenen Rück- oder Weiterverweisung (s Rn 39 f) wird das Recht der Gründung als Gesellschaftsstatut bestimmt (Gründungstheorie, s Rn 18, Rn 33 f); oder es knüpft (2) an den Verwaltungssitz (s.a. Rn 8a) an: vorbehaltlich einer Rück- oder Weiterverweisung wird dann das am Verwaltungssitz geltende Recht Gesellschaftsstatut (Sitztheorie, s Rn 42). Dabei ist derzeit zwischen europäischen Fällen (EU, EWR) und außereuropäischen – teils staatsvertraglich, teils gesetzlich nicht geregelten – Fällen zu unterscheiden: Aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht (bzw. Unionsrecht) und zahlreichen Staatsverträgen (zB Investitionsschutzabkommen) ergeben sich Vorgaben, die nur innerhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechts oder der jeweiligen Staatsverträge bindend sind. Das IntGesR unterliegt insgesamt (noch) einer gespaltenen Anknüpfung (Kronke/Melis/Kuhn/Huber Teil K Rz 114; Brödermann/Rosengarten/Rosengarten 8. Aufl Rz 578; Reithmann/Martiny/Hausmann Rz 6.40): s Rn 11 ff für die europäischen Fälle (im Anwendungsbereich des EU- und des EWR-Vertrages) und Rn 33 ff für die außereuropäischen Fälle.

 

Rn 3

Nach deutschem IPR-Verständnis lässt sich mit Hilfe des IntGesR iVm dem berufenen Gesellschaftsstatut insb die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft und ihre Fähigkeit feststellen, als Vertragspartner am Wirtschaftsverkehr teilzunehmen oder Prozesse zu führen (s.u. Rn 4). Ist das anwendbare Gesellschaftsrecht deutsch, spricht man von einer deutschen Gesellschaft; ist es ein ausländisches Recht, spricht man von einer ausländischen Gesellschaft (Ulmer/Behrens/Hoffmann Einl B Rz 1).

 

Rn 4

In einigen ausländischen, insb den romanischen Staaten bedarf es zusätzlich noch einer Anerkennung der Gesellschaft (Brödermann/Iversen/Brödermann Rz 133 ff; Mayer/Heuzé Rz 1109, 1134 f: wobei nach Art 6, 14 EMRK in Frankreich die Durchsetzung von Forderungen auch durch nicht anerkannte ausländische Gesellschaften zugelassen wird). Nach deutschem Verständnis stellt sich die Frage der Anerkennung regelmäßig nicht: Wurde die Gesellschaft nach dem mit Hilfe des IPR berufenen Gesellschaftsrecht wirksam errichtet, ist sie grds existent und handlungsberechtigt; sie bedarf keiner besonderen Anerkennung (BGHZ 25, 134, 144; 154, 185; Ulmer/Behrens/Hoffmann Einl B Rz 140; Brödermann/Iversen/Brödermann Rz 130: Anerkennung von Gesellschaften als Substitutionsproblem). Die Anerkennung von Gesellschaften wird aber häufig in bilateralen Staatsverträgen geregelt: Aus solchen Verträgen ergeben sich dann oft Vorgaben für die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts (s.u. Rn 35 ff).

 

Rn 5

Erwähnenswert bleibt eine Initiative aus dem Jahre 2008: Ein am 7.1.08 veröffentlichter und wegen Diskontinuität überholter Referentenentwurf für ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen (RefE IntGesR) hätte das EGBGB um Vorschriften zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen ergänzen sollen. Hierzu sah der Referentenentwurf ua die Einfügung von drei neuen Art 10–10b in das EGBGB vor. Der vorgesehene Art 10 I EGBGB sollte Gesellschaften, Vereine und juristische Personen des Privatrechts einheitlich dem Recht des Staates unterstellen, (1) in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen sind bzw (2) – bei (noch) nicht in ein öffentliches Register eingetragenen Gesellschaften – dem Recht des Staates, nach dem sie organisiert sind. Der RefE IntGesR sollte die Anwendbarkeit des Gründungsrechts auch auf Gesellschaften, Vereine und juristische Personen aus Staaten erstrecken, die nicht der EU oder dem EWR angehören. Darüber hinaus sollten alle Rechtsformen auch dann erfasst werden, wenn sie keinen Erwerbszweck verfolgten. Durch die einheitliche Anknüpfung sollten die Rechtsanwendung erleichtert und sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierungen zwischen Gesellschaften aus verschiedenen Staaten vermieden werden (Begr RefE IntGesR 7). Vertrauensschutz sollte durch die Ergänzung einer Vertrauensschutzrege...

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