Zusammenfassung

 

Art 3 HKÜ0 Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn

a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

Das unter Buchstabe a genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.

 

Rn 1

Das anwendbare Recht wird im HKÜ grds nicht geregelt. Das maßgebliche Sorgerecht (dazu Martiny FamRZ 12, 1765, 1767 f) wird vom Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes bestimmt (MüKo/Heiderhoff Rz 4). Der gewöhnliche Aufenthalt ist autonom u einheitlich zu bestimmen (Frankf FamRZ 06, 883; Saarbr FamRZ 11, 1235; Stuttg FamRZ 13, 51). Eine bestimmte Zeitdauer ist nicht erforderlich (Celle NZFam 22, 231). Beim Kleinkind kommt es auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Personen an, von denen das Kind abhängt (Zum Säugling EuGH C-497/10 PPU, Mercredi, FamRZ 11, 617 m Aufs Siehr IPRax 12, 316; EuGH C-111/17 PPU, FamRZ 17, 1506 = ECLI:EU:C:2017:436; Mansel/Thorn/Wagner IPRax 18, 121, 142; zum Einfluss einer Rechtsmittelentscheidung im Herkunftsstaat EuGH C-376/14 PPU, FamRZ 15, 107 m Aufs Pirrung IPRax 15, 207 = ECLI:EU:C:2014:2268). Das kann auch ein minderjähriger Elternteil sein (Celle NZFam 22, 231). In Deutschland ist idR Art 16 KSÜ anzuwenden (Grüneberg/Thorn Art 24 EGBGB Anh Rz 32).

 

Rn 2

Eine Kollisionsnorm besteht nur insoweit, als Art 3 I für die Frage, ob das Verbringen oder Zurückhalten des Kindes widerrechtlich ist, auf das Recht des Herkunftsstaates abstellt (zur Bescheinigung nach Art 15 Pietsch FamRZ 09, 1730). Widerrechtlich ist es, wenn es unter Verletzung eines Sorgerechts stattgefunden hat, das aufgrund einer Entscheidung oder kraft Gesetzes oder aufgrund einer rechtlich verbindlichen Vereinbarung nach dem Recht des MS, in dem das Kind unmittelbar davor seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (EuGH C-85/18 PPU CV, FamRZ 18, 1430 = ECLI:EU:C:2018:220). Geschützt wird auch ein Mitsorgerecht (Ddorf FamRZ 08, 1775; Celle NZFam 22, 858 [Irland]; Nürnbg FamRZ 22, 531 [Kentucky]) oder Ausreiseverbot (Henrich FS Hahne [12], 87, 91 ff). Konkludente Zustimmung zum Verbringen ist möglich (Nürnb FamRZ 09, 240; Stuttg FamRZ 09, 2017; Saarbr FamRZ 11, 1235). Dabei kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont an. Zweifel gehen zulasten des Verbringenden (Stuttg IPRax 19, 434 [OLG Stuttgart 30.01.2017 - 17 UF 274/16] m Aufs Antomo, 405). Auch eine nachträgliche Genehmigung ist zulässig; sie muss aber eindeutig u unbedingt sein (Ddorf FamRZ 11, 1237). Keine Widerrechtlichkeit ist bei der Befolgung staatlicher Maßnahmen wie des Asylrechts gegeben (EuGH C-262/21 PPU, FamRZ 21, 1475 Anm Schulz = IPRax 22, 650 zust Aufs Heiderhoff 616 = ECLI:EU:C:2021:640). ›Sonstige Stelle‹ kann ein Familiengericht sein, wenn das Kind ein ›ward of the court‹ ist (KG FamRZ 22, 1487).

 

Rn 3

Voraussetzung ist die tatsächliche Ausübung des (Mit-)Sorgerechts, lit b (Umgang genügt, Nürnb FamRZ 10, 1575; Bremen NJW-RR 13, 1351; Karlsr FamRZ 15, 1627, 1629; Stuttg NZFam 22, 809). Nichtbeweisbarkeit geht zu Lasten des Entführers (Hamm FamRZ 17, 1679).

 

Rn 4

Rück- u Weiterverweisung sind zu beachten (Nürnbg FamRZ 22, 531; Staud/Pirrung Vorbem Art 19 EGBGB Rz E 27).

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