Rn 9

Bei den ›wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts‹ handelt es sich um grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen, die den ›Kernbestand‹ des inländischen Rechts bilden (BTDrs 10/40504, 42; Erman/Hohloch Rz 11; Looschelders Rz 13). Dieser Kernbestand umfasst Grundsätze, die sich aus staatlicher Rechtssetzung ergeben (herkömmlich bezeichnet als ›Zweck eines deutschen Gesetzes‹) oder aus gesellschaftlichen Wertungen (herkömmlich bezeichnet als ›gute Sitten‹) (BTDrs 10/504, 43; BRDrs 222/83, 43 jeweils iVm Art 30 aF; MüKo/Sonnenberger Rz 46, 61 ff). Letztere sind außerhalb des Rechts vorgefundene Wertmaßstäbe, wie sie auch von sachrechtlichen Generalklauseln wie § 138 BGB in Bezug genommen werden (MüKo/von Hein Rz 142 unter Verweis ua auf BT-Drs 10/504, 43); als Abwehrgrundsätze gegen ausl Recht haben sie angesichts fortgeschrittener Verrechtlichung nur noch geringe praktische Bedeutung und unterliegen im Vergleich mit der sachrechtlichen Sittenwidrigkeit Einschränkungen durch das Erfordernis des Inlandsbezuges und der Erheblichkeit des Verstoßes, während subjektive Momente hier jedenfalls irrelevant sind (MüKo/Sonnenberger Rz 62, 78). Eine hohe ›Grundwertehaltigkeit‹ kommt im allg Normen zu, die Ausdruck der Menschenwürde sind oder der Umsetzung der in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden objektiven Wertungen oder von Zielen wie Kindeswohl (vgl Hamm v 13.7.00, berichtet von Thorn IPRax 02, 352), Minderjährigenschutz (VG Berlin IPRspr 02 Nr 69) oder allg Persönlichkeitsschutz (Stuttg IPRax 02, 128 [OLG Stuttgart 03.08.2000 - 16 UF 180/00] m Aufs Henrich 118 f) dienen (MüKo/Sonnenberger Rz 59).

 

Rn 10

Ob die als unverzichtbar angesehenen Wertentscheidungen nationalem, europäischem oder internationalem Rechtsdenken entstammen, ist grds gleichgültig (MüKo/Sonnenberger Rz 58). Um Bestandteil des op zu sein, müssen völkerrechtliche Grundprinzipien oder Wertungen aber – sei es über Art 25 GG, sei es kraft Transformation eines Staatsvertrages (Art 59 II GG) – als innerstaatliches Recht gelten; einen darüber hinausgehenden ›internationalen‹ op kennt das deutsche IPR nicht (Looschelders Rz 16; dazu auch Horn RabelsZ 44 (1980) 423). Insoweit dürfte auch ein etwaiger (krit zB Schaub JZ 05, 333) europäischer op angesichts der unmittelbaren Anwendbarkeit des Europarechts bereits als Bestandteil des deutschen op wirken. Er weist allerdings wenigstens zwei Besonderheiten auf: Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Rechtsmasse des Europarechts untersteht er der Auslegungshoheit des EuGH (vgl Mörsdorf-Schulte ZVglRWiss 05, 200 ff) und Referenzterritorium für den Inlandsbezug ist die gesamte EU (s Rn 16). Die für die ROM II zunächst vorgesehene spezielle Vorbehaltsklausel zu einem deliktsrechtlichen europäischen op (Art 24 ROM II-Entwurf aF, dazu s.o. Rn 2) ist in der verabschiedeten Fassung nicht mehr enthalten. Kompetenzielle Grenzen, Natur und Gehalt eines europäischen op sind derzeit noch offen, vgl dazu zB Thoma Die Europäisierung und Vergemeinschaftung des nationalen ordre public, 2007; Basedow FS Sonnenberger [04], 291.

 

Rn 11

Umstr ist, ob EU-RL bereits vor ihrer Umsetzung zum op gerechnet werden können (s.a. Rn 8; dafür Kropholler § 36 III c, IV; dagegen zu Recht Erman/Hohloch Rz 23, Looschelders Rz 15). Soweit die Durchsetzung der Wertung des deutschen Rechts gegen Prinzipien des EU-Rechts verstieße, kann das nationale Recht hier nicht zum op gezählt werden (BGHZ 123, 279 zu Art 27 EuGVÜ; denn das EU-Recht genießt Vorrang vor dem nationalen Recht (EuGH Rs 6/64 Costa ENEL; BVerfGE 73, 375 [BVerfG 22.10.1986 - 2 BvR 197/83]). Denkbar ist eine Anreicherung des deutschen op aufgrund des EU-rechtlichen Kontextes bestimmter Grundsätze idS, dass diese an Wesentlichkeit (s.o. Rn 9) gewinnen dadurch, dass sie gemeinschaftsrechtlich vorgegeben sind und ihre Beachtung damit eine zusätzliche, integrationsbezogene Dimension erhält.

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