Rn 3

1 und 2 regeln allg Rechtfertigungsmöglichkeiten über § 8 AGG hinaus. Die Anwendung bereitet erhebliche Probleme:

 

Rn 4

Die Ungleichbehandlung muss ›objektiv gerechtfertigt‹ sein, entscheidend ist ein objektiver Maßstab, nicht die subjektive Gewichtung des Betroffenen oder Handelnden.

 

Rn 5

Sie muss ›angemessen gerechtfertigt‹ sein, dh die Mittel-Zweck-Relation ieS (dazu § 8 Rn 7) ist zu wahren (Rn 7).

 

Rn 6

Sie muss durch ein ›legitimes Ziel‹ gerechtfertigt sein (EuGH NJW 10, 587 – Petersen; NZA 09, 891 – Hütter; BAG NZA 13, 1160 [BAG 14.05.2013 - 1 AZR 44/12]), wobei es sich um ein sozialpolitisches Ziel handeln muss (EuGH NZA 11, 1039 [BAG 23.03.2011 - 10 AZR 562/09] – Prigge; BAG NZA 16, 1394 [BAG 19.05.2016 - 8 AZR 470/14]). Das schließt aber Ziele des Unternehmens oder der Branche nicht per se aus (BGH NZA 12, 1044, 797; Lingemann/Weingarth DB 12, 2325, 2330), sofern sie nicht unabhängig von Allgemeininteressen verfolgt werden (BAG, NZA 16, 1081). Namentlich gesetzlich anerkannte Ziele sind legitim, so die in Nr 1–6 genannten, aber auch die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur (BAG NZA 22, 1401 [BAG 31.03.2022 - 8 AZR 238/21]) oder der Erhalt von Leistungsträgern iRd Sozialauswahl, § 1 III 2 KSchG (Rn 24), die Sicherung einer angemessenen Altersversorgung (BAG NZA 18, 1006 [BAG 26.04.2018 - 3 AZR 19/17], mglw auch ein gesetzliches Wunsch- und Wahlrecht nach § 8 Abs 1 SGB IX [Vorlagebeschluss BAG AP AGG § 3 Nr 13]) oder der Ausschluss von Bewerbern, die bereits die gesetzliche Regelaltersgrenze erreicht haben (BAG NZA 22, 1401 [BAG 31.03.2022 - 8 AZR 238/21]).

 

Rn 7

Die Mittel müssen gem 2 zur Erreichung des Ziels angemessen und erforderlich und damit verhältnismäßig (BAG NZA 19, 1295 [BAG 07.05.2019 - 1 ABR 54/17]; 16, 1394 [BAG 19.05.2016 - 8 AZR 470/14]; 15, 365 [BAG 09.12.2014 - 1 AZR 102/13]) sein; die Mittel/Zweck-Relation ieS wird betont ohne zusätzlichen Regelungsgehalt ggü 1. Die Honorierung von Betriebstreue bei Kündigungsschutz (zB iRd Sozialauswahl, vertraglicher Unkündbarkeit), bei Arbeitsentgelten (EuGH NZA 06, 1205 – Cadman), Zusatzleistungen oder Entlassungsentschädigungen ist schon nach § 3 II keine auch nur mittelbare Benachteiligung, denn sie ist rechtmäßiges Ziel (§ 3 Rn 15 ff); Kündigungsschutz iRd Sozialauswahl oder ordentliche Unkündbarkeit sowie erhöhte Entschädigung sind angemessene und erforderliche Mittel gem § 3 II AGG. Nicht angemessen sind rein altersabhängige Entgeltstaffelungen (EuGH NZA 14, 831 – Specht; BVerwG NVwZ 15, 818 [BVerwG 30.10.2014 - BVerwG 2 C 3.13]; BAG NZA 15, 1059 [BAG 25.03.2015 - 5 AZR 458/13]; Lingemann/Gotham NZA 07, 666; Rn 11) oder rein altersabhängige Sonderzuwendungen, Entgeltsicherungsklauseln, Beförderungen, Abfindungs- oder Unkündbarkeitsregelungen (Rn 10; BAG NZA 10, 768, 961, Anm Lingemann ArbR 10, 297; Lingemann/Müller BB 07, 2008), Befristungen (BAG DB 11, 2038) und Kündigungsfristen (Rn 9). Altersabhängige Arbeitszeitverkürzungen und Sonderurlaubstage sind zulässig, soweit sie einem konkret nachgewiesenen erhöhten Erholungsbedürfnis älterer ArbN Rechnung tragen (BAG NZA 19, 634 [BAG 11.12.2018 - 9 AZR 161/18]; 17, 1116, 339, 267 [BAG 27.04.2017 - 6 AZR 119/16]; § 8 Rn 9; Lingemann/Gotham NZA 07, 666; Lingemann/Müller BB 07, 2008). Ebenso zulässig sind altersabgestufte Rentenversicherungsbeiträge, sofern zur Bildung einer angemessenen Altersversorgung erforderlich (EuGH BetrAV 13, 628 – HK Danmark; BAG NJOZ 18, 1019), ggf auch Altersgrenze 60 für Gewährung von Versorgungsbeiträgen (BAG NZA 18, 1006 [BAG 26.04.2018 - 3 AZR 19/17]).

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