Rn 2

§ 612a erfasst nicht nur die Ausübung von Rechten aus dem Arbeitsverhältnis, sondern jede Form der Ausübung von Rechten durch Arbeitnehmer (auch kollektiv über den Betriebsrat, BAG NZA 13, 1104 [BAG 16.05.2012 - 10 AZR 174/11]) und gewährleistet umfassenden Schutz als allg Maßregelungsverbot. Geschützt ist nur die Ausübung tatsächlich bestehender Rechte in zulässiger Weise (ErfK/Preis § 612a Rz 5 f). Beispiele für Rechtsausübung: Ausspruch einer Kündigung (LAG Nürnberg LAGE Nr 2 zu § 612a), Ausübung von Grundrechten (etwa Art 5 GG, BAG NZA 12, 317 [BAG 21.09.2011 - 7 AZR 150/10]), Erhebung einer Kündigungsschutzklage (LAG Nds NZA-RR 03, 578 [LAG Niedersachsen 16.08.2002 - 10 Sa 409/02]), Ablehnung verlängerter Arbeitszeiten (BAG NJW 03, 772 [BAG 12.06.2002 - 10 AZR 340/01]) oder einer mindestlohnwidrigen Vertragsänderung (LAG Sachsen BeckRS 15, 71674), ferner Streikteilnahme (BAG NZA 00, 487 [BAG 03.08.1999 - 1 AZR 735/98]), Gewerkschaftstätigkeit (LAG Hamm LAGE Nr 1 zu § 612a), Geltendmachung von Ansprüchen, zB auf tarifvertragliches Vorruhestandsgeld (BAG NZA 88, 18 f), Weihnachtsgeld (LAG Hamm LAGE Nr 5 zu § 20 BetrVG 1972), Entgeltfortzahlung (BAG EzA Nr 11 zu § 612a – ›Anwesenheitsprämie‹) oder Überstundenvergütung (LAG Hamm LAGE Nr 5 zu § 20 BetrVG 1972). Der ArbN kann sich jedes zulässigen Mittels bedienen. Klageerhebung ist zulässig, sofern nicht mutwillig (BAG NZA 01, 680 [BAG 23.02.2000 - 10 AZR 1/99]). Vereinbarungen sind einzel- oder kollektivrechtliche (Betriebsvereinbarungen, Firmentarifverträge, Sozialpläne) Abreden. Allerdings scheidet Maßregelung aus, wenn die Vereinbarung bereits vor der Rechtsausübung getroffen wurde, es sei denn, sie enthält bereits Sanktionen für den Fall der Rechtsausübung (LAG Köln LAGE Nr 39 zu Art 9 GG – ›Arbeitskampf‹; offengelassen BAG NZA 05, 997 [BAG 31.05.2005 - 1 AZR 254/04]).

 

Rn 3

Maßnahmen sind vom Willen des ArbG getragene einseitige Verhaltensweisen tatsächlicher, geschäftsähnlicher oder auch rechtsgeschäftlicher Art (MüKo/Müller-Glöge § 612a Rz 13), zB Weisungen, Kündigungen (BAG NJW 21, 2454 [BAG 20.05.2021 - 2 AZR 560/20]), Gewährung von Leistungen. Benachteiligung ist die im Einzelfall bewirkte Schlechterstellung des ArbN, zB Entzug oder Vorenthaltung von Zuwendungen und ähnl Vorteilen (BAG NZA 13, 1104 [BAG 16.05.2012 - 10 AZR 174/11]), Vorenthaltung eines unbefristeten Folgearbeitsvertrages nach befristetem Vertrag (BAG NZA 12, 317 [BAG 21.09.2011 - 7 AZR 150/10]), sachfremde Gruppenbildung (BAG NZA 10, 696; 09, 1135 [BAG 05.08.2009 - 10 AZR 666/08]), Unterlassung von Überstundenzuweisungen (BAG NJW 03, 3219), nachträgliche streikbedingte Sonderzuwendung, es sei denn, sie soll besondere Erschwernisse nicht streikender ArbN ausgleichen (BAG NZA 93, 39, 267 [BAG 11.08.1992 - 1 AZR 103/92]). Benachteiligung liegt nur vor, wenn der ArbG zwischen verschiedenen Maßnahmen wählen konnte (BAG ZTR 13, 441; NZA 12, 618). Nicht bei bloßem Normvollzug (BAG ZTR 13, 441; NZA 12, 618 [BAG 14.12.2011 - 5 AZR 675/10]). Zulässig ist/sind: Anwesenheitsprämien bzw Kürzung von Prämien wegen Abwesenheiten, sofern nicht die Fortzahlung gesetzlich zwingend ist (BAG NZA 95, 266 [BAG 26.10.1994 - 10 AZR 482/93]; iE BLDH/Lingemann Kap 12 Rz 25 ff M 12.14.1), Einrichtung betrieblicher Altersversorgung nur bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur flexiblen Arbeitszeit (BAG NZA 08, 56 [BAG 18.09.2007 - 3 AZR 639/06]), Ablehnung eines befristeten Folgevertrags bei Vorbehalt der Befristungskontrolle für vorangegangene Verträge (BAG NZA 07, 806 [OLG Frankfurt am Main 24.08.2006 - 20 W 215/06]), Beschränkung von Sonderzahlungen auf ArbN mit Urlaubs- oder Lohnverzicht (BAG NZA 09, 1202 [BAG 15.07.2009 - 5 AZR 486/08]), Entgelterhöhung zugunsten eines Teils der ArbN zur Kompensation verschlechterter Arbeitsbedingungen (BAG NZA 10, 696 [BAG 17.03.2010 - 5 AZR 168/09]), verhältnismäßige Streikbruchprämien (BAG NJW 19, 538 [BAG 14.08.2018 - 1 AZR 287/17], Anm Zeh FD-ArbR 18, 408137).

 

Rn 4

Die Rechtsausübung muss für die benachteiligende Maßnahme kausal, also nicht alleiniger, aber tragender Beweggrund und damit wesentliches Motiv sein (BAG NZA 22, 1558; NJW 21, 2454). Daher keine unzulässige Benachteiligung bei sachlichen Gründen (BAG NJW 21, 2454 [BAG 20.05.2021 - 2 AZR 560/20]) oder bei Orientierung an der Rechtsordnung (BAG NZA 07, 806 [OLG Frankfurt am Main 24.08.2006 - 20 W 215/06]). Anders, wenn zwar ein sachlicher Grund für die Benachteiligung vorlag, der ArbG sich jedoch von anderen Motiven, zB Rachsucht wegen zulässiger Rechtsverfolgung, leiten ließ (BAG SAE 04, 50).

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