Rn 5

Art 12 I nennt – wie schon Art 10 EVÜ und ex Art 32 I EGBGB – Regelbeispiele (s Rauscher/Freitag Art 12 Rz 6; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 3) für die Reichweite des von ROM I berufenen Rechts, deren Anwendungsbereich nicht immer scharf zu trennen ist. Soweit die Parteien keine vorrangigen anderen Festlegungen (Vertragsfreiheit) getroffen haben – zB Ausschluss des CISG nach Art 6 CISG; Versteinerungsklausel zur Festschreibung der bei Vertragsabschluss geltenden Fassung des Vertragsstatuts (s zB Reithmann/Martiny/Martiny Rz 2.67; BRHP/Spickhoff Art 27 Rz 27) –, berufen Art 3 ff das Vertragsstatut in seiner jeweiligen Gestalt (so treffend Grüneberg/Thorn Art 12 Rz 3: Das Vertragsstatut entscheidet über intertemporale Fragen (s zB Einleitung BGB Rn 9, Rn 22 zur Änderung des deutschen Schuldrechts). Leitbild ist damit auch nach der ROM I die Einheit des Vertragsstatuts, auch wenn es in der Praxis durch die Teilrechtswahl nach Art 3 I 3 (dépeçage), die Teilfrageanknüpfungen der Geschäftsfähigkeit (Art 7 EGBGB) bzw Rechtsfähigkeit und Vertretung von Gesellschaften (s IntGesR Rn 10) sowie der Form (Art 11 EGBGB) und die Sonderanknüpfung einzelner Rechtsfragen wie der Aufrechnung (Art 17) oder zwingender Vorschriften (Art 9) zu einer Vielfalt anwendbarer Rechtsordnungen oder Vertragsspaltung kommen kann. Häufiger führt eine Sonderanknüpfung zwingender Vorschriften (Vor ROM I Rn 10) zu Abweichungen vom Einheitsstatut.

 

Rn 6

Die Regelbsp entsprechen den aus der Anwendung von ex Art 32 I EGBGB und Art 10 EVÜ bekannten Bsp: Die erforderliche autonome Auslegung der Begriffe (vgl Vor ROM I Rn 12 ff) erforderte idR kein Umdenken, da bereits ex Art 32 I EGBGB nach ex Art 36 EGBGB einheitlich und rechtsvergleichend auszulegen war (s ex Art 36 EGBGB 7. Aufl Rz 6). Damit sind die Auslegungsmethoden ähnl. Es kann deshalb auch auf Rechtsprechung und Literatur zu ex Art 32 I EGBGB und Art 10 EVÜ zurückgegriffen werden.

 

Rn 7

Ergänzend können im Einzelfall dem DCFR Kriterien für die Interpretation der in Art 12 I verwendeten Begriffe entnommen werden, da der DCFR auf rechtsvergleichender Basis unter Betrachtung der Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten (s Vor ROM I Rn 14) entstanden ist. Einschlägig sind zB: Sec II.-8:101–107 für die Auslegung, Sec III.-2:101–114 für die Vertragserfüllung, Sec III.-3:101–713 für die Folgen der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung, sowie Sec III.-7:101–601 für die Verjährung und Sec II.-7:101–304 für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags.

I. Auslegung (Abs 1 lit a).

 

Rn 8

Das Vertragsstatut ist maßgebend für die Auslegung (vgl BGH NJW-RR 90, 248, 249 [BGH 24.11.1989 - V ZR 240/88] I 3; München NJWE-WettbR 96, 180, 181; Staud/Magnus Art 12 Rz 24). Das umfasst (1) die Auslegungsmethoden: bei dt Statut zB die Frage, ob und inwieweit europäische Vorgaben und Auslegungsmethoden zu beachten sind (Einleitung BGB Rn 35 f); und (2) die Auslegungsregeln: bei deutschem Statut §§ 133, 157 (s BGH aaO: ggf gilt ausländisches Auslegungsrecht; s auch Staud/Magnus Art 12 Rz 25 f zu >construction clauses’); für die Auslegung von Verträgen in englischer Sprache s grundlegend Triebel/Vogenauer.

 

Rn 9

Danach ist zB nach dem Vertragsstatut zu entscheiden: (1) ob und inwieweit Rechtsvorstellungen aus einer fremden, im Vertrag verwendeten Sprache zu berücksichtigen sind. S BGH NJW 87, 591 [BGH 16.10.1986 - III ZR 121/85]: Auslegung einer englischen Vertragsklausel nach Wortsinn und Bedeutung; BGH NJW-RR 92, 423, 425 [BGH 02.12.1991 - II ZR 274/90]: Auslegung einer Indemnity-Klausel nach englischem Rechtsverständnis bei deutschem Vertragsstatut; Hambg VersR 96, 229, 230; Triebel/Balthasar NJW 04, 2189, 2193; zur Ermittlung des Wortsinns fremdsprachlicher Vertragsbestimmungen: Soergel/v Hoffmann Art 32 EGBGB Rz 12; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 34 ff: generell – auch bei AGB – kommt es auf den dem anderen Teil erkennbaren Parteiwillen (im Gegensatz zum objektiven Sinn für Dritte) an; Sonderfall: Bei für den internationalen Rechtsverkehr mit einheitlichem Inhalt geschaffenen Klauselwerken wie den INCOTERMS (2020) ist ihre internationale Ausrichtung zu berücksichtigen (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 25, 46; Staud/Magnus Art 12 Rz 31).

 

Rn 10

(2) wer das Sprachrisiko trägt: Wer die deutsche Sprache wählt, übernimmt das Risiko der Abfassung des Vertrags in deutscher Sprache (BGHZ 87, 112, 113 f; s zum Risiko von englischer Sprache bei deutschem Recht MAHIntWirtR/Brödermann § 6 Rz 146 ff und grundlegend Triebel/Vogenauer); (3) wie ein irrtümlich in der Annahme der Geltung eines anderen Rechts ausgehandelter Vertrag auszulegen ist: Handeln unter falschem Recht (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 39 f); (4) ob und inwieweit Verkehrssitten zu berücksichtigen sind: (a) Erklärungssitten (zB ›freibleibend‹, ›fob‹, BGHZ 60, 5, 8; MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 24) und (b) echte Verkehrssitten (MüKoIPR/Spellenberg Art 12 Rz 55 f).

 

Rn 11

Wegen der Verweisung in Art 10 I (ex Art 31 EGBGB) entscheidet praktisch stets auch das (hypothetische) Vertragsstatut, ob Dissens od...

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